Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fest der Fliegen

Fest der Fliegen

Titel: Fest der Fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Heidenreich
Vom Netzwerk:
ihm war bisher nur bekannt, dass er offenbar über Geld verfügte und, neben seiner Funktion im Vorsitz einer gemeinnützigen Stiftung, als Kunsthistoriker tätig war. Er hatte verlauten lassen, er arbeite an einer langfristig angelegten Studie über Altäre im süddeutschen und südostdeutschen Raum. Er verschwieg, dass er seit Jahren auf der Suche nach dem Marienaltar der Zungener Hedwigskirche war. Ein Heiligenbildchen ohne Angabe des Ortes in seiner Mariensammlung hatte ihn auf die Spur gesetzt. Maria triumphans , die Gottesmutter als Siegerin, war nirgends so gestaltet wie hier. Er kannte die Marienfiguren, die mit einem Fuß auf der Schlange standen. Es gab sie in vielen Altären. Doch die Zungener Maria war die einzige, die den Teufel mit seiner eigenen Keule erschlug. Mit der Entdeckung der Hedwigskirche von Zungen, die in der nördlichen Altstadt, nicht weit von der Prannburg an der Einmündung der Grabengasse in die Hauptstraße lag und deren gotischer Grundbau barockisiert worden war, hatte Burton das Ziel seiner Sehnsucht erreicht: Die Muttergottes, nahezu lebensgroß, trug auf dem linken Arm den Jesusknaben und schwang in der rechten Hand eine lange, dunkelbraune Holzkeule über ihrem Haupt, die sie dem Teufel entrissen hatte, der vor ihr auf der Erde lag: Auf den Rücken des gefallenen Engels setzte sie siegreich ihren nackten rechten Fuß. Zur martialischen Pose, mit der sie offensichtlich ausholte, um Luzifer den Todesschlag zu versetzen, schienen das Kind im anderen Arm und das liebevolle Lächeln im Madonnengesicht nicht zu passen, doch Burton sah keinen Widerspruch, sondern die Gleichzeitigkeit von Gnade und Strafe. Der bezwungene, seiner Waffe beraubte Satan war so dunkelbraun wie seine Keule, hatte kleine, grün schillernde Fledermausflügel, eine Hakennase, negroide Lippen und starrte glutäugig in die Tiefe der ewigen Verdammnis, wie man einem Spruchband entnehmen konnte, das sich seinem Mund entwand: We mir is di hoell ewiglig.
    Burton fertigte Skizzen, Fotos und Videoaufnahmen an, mit Genehmigung von Pfarrer Schnaubert öffnete er fachgerecht die Glasabdeckung des Schreins, vermaß die Darstellung und untersuchte die Farbfassung. War er allein in der Kirche, kniete er vor der Keulenschwingerin und betete. Der Schnitzer, der diesen Altar im ausgehenden
    17. Jahrhundert geschaffen hatte, war unbekannt. Das faustgroße, massive Silberherz vor der Brust der Mariengestalt, auf der rechten wie der linken Seite von je drei Dolchen sowie einem weiteren senkrecht durchstoßen, galt als Gabe aus dem 19. Jahrhundert – Bild gewordene Prophezeiung Simeons: Das Mutterherz werde gemartert von sieben Qualen, die es um den Sohn leiden muss. Er wolle der Kirche und der Stadt gern das Ergebnis seiner Untersuchungen zur Verfügung stellen, versprach Burton. Schon jetzt sei er sicher, dass es sich bei dem Marienschrein um ein herausragendes Beispiel naiver Altarkunst handele, mit dem man möglicherweise sogar den Fremdenverkehr beleben könne. Auf diese Weise verstand er es, sich mit der Verwaltung von Kirche und Stadt gut zu stellen. Ohnehin war man ihm dankbar, weil er die Staff-Villa zu einem ansehnlichen Preis als Sitz seiner Bonanima-Stiftung erworben hatte. Dass der Ire Interesse am Kauf des Anwesens zeigte, war für Oberbürgermeister Ehrlicher ein Geschenk des Himmels gewesen. Nach dem Tod des Vorbesitzers, des Zeitungsverlegers Winkels, der keine Erben hinterlassen und in einer letztwilligen Verfügung seinen Besitz der Stadt Zungen überschrieben hatte, war das Anwesen an den Fiskus gefallen, der angesichts der Kosten für Pflege und Instandhaltung sofort nach einem Käufer suchen ließ. Zwei Wochen später stand Burton eines Morgens im Rathaus am Schillerplatz und bat um einen Termin bei Ehrlicher. Der betrat im selben Moment sein Vorzimmer, die beiden Herren stießen aufeinander: Der beleibte Baustoffhändler, dessen Gesichtsfarbe unter dem rehbraunen Toupet auf Überdruck schließen ließ, und der fast einen Kopf größere, hagere Ire, rot gelockt, mit der bleichen, zu Sommersprossen neigenden Haut der Inselbewohner in der Keltischen See und einem ausgeprägten Kinn, das ebenso weit hervorsprang wie die Nase. Burton hatte sich höflich vorgestellt und das schriftliche Angebot einer Immobilienagentur präsentiert, die von der Stadt mit der Vermaklung der Staff-Villa beauftragt worden war. Ehrlicher bat ihn in das Bürgermeisterzimmer. Der Mann aus Cork, Kind eines irischen Vaters und einer

Weitere Kostenlose Bücher