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Fetjaine, Jean-Louis - Die Elfen 02

Titel: Fetjaine, Jean-Louis - Die Elfen 02 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Nacht der Elfen
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erschreckt?«
    Uther sah nur eine dunkle Silhouette, die sich kaum von der finsteren Behausung abhob, doch er erkannte die jugendliche Stimme und den ironischen Tonfall Merlins.
    »Zum Henker, ich ...«
    Eine Sekunde zuvor hatte ihn eine mörderische Wut gepackt, aber mit einem Mal, als er schon die Faust nach dem Kindmann hin ausstreckte, wurde ihm das Herz schwer, und er brach in Tränen aus. Nach so vielen Tagen des Schweigens endlich eine Stimme ...
    Merlin spürte, wie sich ihm die Kehle zusammenschnürte. Da stand er vor ihm, ein erbarmungswürdiges Geschöpf, dem die Tränen aus den Augen stürzten wie ein Fluss, der seine Deichmauern niederreißt, abgemagert, zottelig und von abgrundtiefer Verzweiflung vernichtet. Er schloss ihn in seine Arme, bedeckte seine nackten Schultern mit seinem Mantel und wartete, dass sein Schluchzen verebbte. Auf diese Weise verstrich die Nacht.
    Nach Anbruch der Morgendämmerung setzte Merlin ihn an den Rand des Sees und rasierte ihn sorgfältig mit der Klinge seines eigenen Dolchs. Gewaschen, mit entwirrten und frisch geflochtenen Haaren, nahm Uther wieder menschliche Züge an, sofern man nicht allzu genau hinsah. Er ließ es über sich ergehen wie ein fügsames Kind, ohne ein Wort zu verlieren oder seinen erschöpften Blick auch nur ein einziges Mal von Merlin abzuwenden. Der Nebel war aufgestiegen, so dicht und weiß wie eine Wolke, und hüllte den See und das Ufer in unwirkliche Stille. Ein einziger Gedanke beherrschte den Geist des Ritters. Der Nebel der Tag-und-Nacht-Gleiche ... So war er also über vierzig Tage alleine geblieben in diesem verlassenen Wald. So war die Prüfung also vorüber ... Uther wagte nicht, sein Gegenüber anzusprechen, und im Übrigen hätte er kaum vermocht, die Flut an Fragen, die sich all die Zeit über in ihm angestaut hatte, in Worte zu fassen. Keine davon war jetzt mehr wichtig. Selbst wenn er vergebens gewartet hatte, selbst wenn dieses irdische Paradies, von dem Merlin erzählt hatte, nicht existierte, selbst wenn er auf der anderen Seite des Nebels nur eine verlassene Insel entdeckte, so war doch die Stunde der Erlösung gekommen.
    Merlin war ebenfalls ernst, seine Gesten waren bedächtig, er konzentrierte sich ganz auf die Rasur, um Uther nicht in die Augen sehen zu müssen, und fand sich bereitwillig mit dem Schweigen seines Gefährten ab. Weder die Vögel waren noch zu hören noch irgendein anderes Tier im Wald, nicht einmal mehr das Rascheln der Blätter. Nichts. Nur noch der beklemmende metallische Geruch des Nebels. Und das Plätschern des Wassers.
    Als er sein Werk beendet hatte, erhob sich der Kindmann, und Uther tat es ihm nach und stand jetzt neben ihm am Ufer des Sees.
    Zunächst konnten sie gar nichts sehen, dann erkannte der Ritter einen dunklen Umriss über dem Wasser, der langsam auf sie zudriftete und zu ihren Füßen strandete.
    Eine Barke, schwarz glänzend vor Feuchtigkeit, ohne Ruder oder Stange.
    »Der Fährmann der Nebel«, murmelte Merlin mit unsicherer, fast banger Stimme.
    Mit erstaunter Miene wandte er sich zu seinem Begleiter um, als hätte er erwartet, dass sich der Ritter in das Boot stürzte; und als er sah, dass Uther sich nicht rührte, nahm er ihn bei der Hand, um ihm an Bord zu helfen. Und schon stieß er ihn weit vom Ufer fort.
    »Kommst du nicht mit?«, fragte Uther.
    »Ich kann nicht!«
    Seine lange, klapperdürre Gestalt verschwamm bereits im Nebel, so aufrecht und unbeweglich, dass man sie für einen Baumstrunk hätte halten können.
    »Aber ich werde auf dich warten!«, rief er, und seine Stimme hallte über das Wasser wie ein Echo.
    Uther setzte sich mit pochendem Herzen und weit auf gerissenen Augen nieder, ohne zu wissen, ob die Barke sich fortbewegte. Er hatte keinerlei Orientierungspunkt inmitten all dieser langsam dahinziehenden, regenkalten weißen Wolkenbänke; kein Kielwasser seitlich des Nachens, nicht der geringste Windhauch auf seinem Gesicht, und er verharrte eine endlose Weile in dieser Stellung und wagte es nicht, sich zu bewegen. Bisweilen erregte ein klatschendes Geräusch seine Aufmerksamkeit, doch bis er es schaffte, sich umzudrehen, liefen nur noch kleine Kräuselwellen über das Wasser hin, deren Abstände immer größer wurden und die schließlich ganz verschwanden. Und manchmal waren diese unvermittelten Platscher ganz nahe und so kräftig, dass es sich nicht um einen einfachen Fisch handeln konnte. Abgesehen von diesen flüchtigen und unsichtbaren Phänomenen gab es nichts, und

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