Fetjaine, Jean-Louis - Die Elfen 02
festgekrallt, ohne sich bewusst zu machen, dass er diesem fast den Arm zerquetschte. Ein hoch gewachsener Elf in einem silbernen Kettenhemd, das bei jedem seiner Schritte im milden Licht des Unterholzes funkelte, näherte sich ihnen und schwenkte nachlässig seine Waffe am ausgestreckten Arm. Seine Züge waren müde, doch Bedwin erkannte ihn auf der Stelle.
»Sire Llandon!«
»Du weißt, wer ich bin? Umso besser ...«
Der helle Blick des Elfen glitt über das schweißglänzende Gesicht des Bischofs, über sein Haar und seinen übertrieben gepflegten Bart, dann zog Llandon den Vorhang der Sänfte zurück, um das Innere zu inspizieren. Er hob amüsiert die Brauen und riss den schweren Stoff mit einem Ruck herunter, so dass die Deichselstange bebte und die Pferde sich zu Tode erschreckten. Eine nackte und bleiche junge Frau presste mit angstvoll geweiteten Augen ein Kissen gegen ihren Körper, das allerdings zu klein war, um ihre füllige Gestalt zu verbergen. Llandon streckte die Hand aus und half ihr auszusteigen, dann legte er ihr den Vorhang um und trat beiseite, wobei er wortlos den zur Stadt führenden Waldweg hinaufwies. Am ganzen Leib zitternd suchte sie eilig das Weite, während die Elfen gleichgültig amüsiert herumstanden.
»Nun«, meinte der König der Hohen Elfen und wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Prälaten zu. »Machst du dir Sorgen um deinen Schatz?«
Unwillkürlich warf Bedwin einen panischen Blick auf die mit Eisenbändern beschlagene Truhe, die in seiner Sänfte am Fußende einer mit Federkissen belegten Strohmatte befestigt war.
»Den Schlüssel!«
Der Bischof zögerte einen Moment, dann löste er die Kordel, die er um den Hals gebunden trug.
»Nein! Mein Vater!«
Aber Bedwin riss sich mit einer brüsken Bewegung von dem Priester, der sich an ihm festklammerte, los.
»Nihil cupit nisi aurum. Id capiat, dum nos incólumes conservet!«
Llandon reichte einem Elf den Schlüssel, worauf dieser in den Wagen sprang und die Truhe öffnete. Darin lagen prall gefüllte Geldbörsen, goldene Hostiengefäße und ein mit Edel steinen eingelegtes Kruzifix. Er warf all das auf den staubigen Weg, wo weitere Elfen es unter fröhlichem Gekreische an sich nahmen. Dann hielt er dem König Bedwins Bibel hin.
Mit seinem fetten Einband aus Gold und Juwelen war der Band so schwer, dass Llandon ihn auf der Deichselstange ablegen musste. In der Mitte war das Relief eines thronenden Christus auf einer kleinen Goldplatte eingearbeitet, umgeben von einem Emaillerahmen, auf dem die Namen der Evangelisten zu lesen waren: Matthäus, Markus, Lukas und Johannes. Mit einer jähen Geste riss der Elf die Klammern heraus, durch die die schwere Platte auf dem Buchdeckel gehalten wurde. Der Priester fuhr hoch und krallte sich erneut stammelnd vor Empörung an das Gewand des Bischofs.
»Mi pater, non sines incredulum scripta sacra attingere .« »Biblia sacra nihil valent apud eum «, gab Bedwin zurück, »/sie canis nullius rei nisi auri nostri cupidus est!«
Llandon drehte sich zu ihnen herum und erwiderte ihren Blick mit einer amüsierten Grimasse, dann richtete er sein Augenmerk wieder auf die Bibel des Bischofs.
»Nihil valet aurum apud elphides« , murmelte er leise, wie zu sich selbst gewandt.
Ohne die beiden Geistlichen, die ihn fassungslos vor Entsetzen anstarrten, auch nur im Geringsten zu beachten, strich der Elf, fasziniert von den prachtvollen Buchmalereien, mit den Fingerspitzen über die Pergamentseiten, die so weiß und so fein waren, dass sie aus der Haut tot geborener Lämmer gegerbt worden sein mussten. Sein Blick blieb an einer Darstellung Adams und Evas hängen, die zeigte, wie die beiden aus dem Paradies vertrieben wurden, während sich eine Schlange am Fuße eines Apfelbaums wand. Er versuchte, den Begleittext zu entziffern, doch dieser war in Unzialschrift gehalten, das heißt, es war alles in gerundeten lateinischen Großbuchstaben, ohne Akzente oder einen Zwischenraum zwischen den einzelnen Wörtern geschrieben, und er gab es sogleich wieder auf.
Die Elfen besaßen keine eigene Schrift, abgesehen von den Runen des Ogam, die nur allgemeine Vorstellungen verbildlichten, und selbst Llandon hatte größte Mühe, die geheimnisvolle Schrift der Kopisten zu lesen. Die Buchmalerei sprach jedoch eine so deutliche Sprache, dass man auch ohne Erklärung auskam.
»Das ist ein Apfelbaum, nicht wahr?«, fragte er und sah Bedwin an. »Für euch ist also die verbotene Frucht, die Frucht der
Weitere Kostenlose Bücher