Fettnaepfchenfuehrer Frankreich
willkommene Mittagstischablenkung. Zu dieser Tageszeit, besonders im Urlaub, möchte man sich leicht und unverfänglich unterhalten, das Gute und Schöne loben und den weiteren Verlauf des Tages beplaudern. Da haben Sarkozy und biologische Trends, die ohnehin in Frankreich unbeliebt sind, genauso übrigens wie die Frage der Mülltrennung, einfach nichts zu suchen. Deshalb wird darauf auch kaum oder gar nicht eingegangen. Selbst Katjas Freund sitzt hier zwischen den Stühlen, denn er hat die Lage sofort durchschaut, möchte aber seine Liebste auch nicht vor den anderen zurechtweisen. Zumal er weiß, dass sie sich das als gleichberechtigte Frau auch nicht gefallen ließe. Also hat er ihr durch seinen Themenwechsel zu verstehen gegeben, dass sie sich thematisch auf einem Holzweg befindet. Zurückhaltend und dennoch bestimmend, so wie es die Höflichkeit der Franzosen verlangt.
Was können Sie besser machen?
Es gilt also größte Sorgfalt sowohl bei der Themenauswahl als auch bei der Art und Weise des sich Einbringens, wenn man in Frankreich zu Tisch gebeten wird. Hätte Katja angefangen, über die aktuelle Filmlandschaft zu sprechen und dann von ihrem Lieblingsfilm erzählt, locker, charmant und unterhaltsam, und anschließend gefragt, ob jemand den Film auch mag oder einen anderen empfehlen könne, wäre das für alle etwas »bekömmlicher« gewesen. Ob mit oder ohne Katja, ob privat oder geschäftlich, gewisse Themen werden bei Tisch einfach nicht angesprochen.
Laconversation
La conversation ist in Frankreich eine hoch bewertete Kunstform. Für die Franzosen bedeutet sie nicht nur, dass man jemanden von seiner Idee überzeugen kann, sondern es geht vor allem darum, sowohl in der Schriftsprache als auch im mündlichen Ausdruck besonders eloquent zu sein. Um Meister dieser Kunst zu werden, beginnen die Franzosen damit bereits im Kindergarten; sie lernen, bei jeder Gelegenheit hübsch »danke, Mama« und »bitte, Mama« zu sagen, nicht laut zu sein, immer zu gehorchen und auf Fragen stets höflich und geistreich – soweit es für ein Kindergartenkind möglich ist – zu antworten. Schule und Universität dienen in erster Linie dazu, den Umgang mit der französischen Sprache zu perfektionieren. Während in der Schule vor allem das Schriftliche geschult wird, legt man in der Universität großen Wert auf die akkurate mündliche Beherrschung des Französischen. Dafür gibt es feststehende Redewendungen und Formulierungen, die sich jeder Student anzueignen hat.
Dabei dient die Kunst der Konversation in erster Linie dazu, eine gute Figur zu machen, nicht um Ansichten und Meinungen auszutauschen. Während Deutsche oft eine Kommunikation mit der Frage beginnen »Was machen Sie beruflich?« oder »Wie heißen Sie?«, kann eine solche Frage in Frankreich schnell unhöflich und indiskret wirken. Franzosen sprechen zunächst am liebsten über das Wetter, über Regen und Sonnenschein: la pluie et le beau temps . Wenn sich die Kommunikation als gut erweist, geht man langsam zu persönlicheren Themen über. Doch auch hier geht es wieder darum, selbst eine besonders gute Figur abzugeben. Ideen werden in die Runde geworfen, man kommt vom Hundertsten ins Tausendste ( passer du coq à l’âne ; wörtlich: vom Gockel zum Esel kommen), antwortet auf ernste Fragen mit Witzen oder unterbricht seinen Gesprächspartner mitten im Satz – wenn man die hohe Kunst der Konversation beherrscht. Es ist die ewige Lust am Spiel. Gewonnen hat der, dem beim verbalen Schlagabtausch das letzte Wort gehört und dabei äußerst diskret und entspannt geblieben ist. Le bon mot (das schöne Wort) ist, was zählt, auf die Verpackung kommt es an. Und wenn man das einmal weiß und am besten ein paar Mal beobachtet hat, kann die verspielte Leichtigkeit, mit der dann auch ernstere Dinge des Lebens auf den Tisch kommen, großen Spaß machen.
38. Ein Sprung ins kalte Wasser oder eine haarige Angelegenheit
Paula schafft es immer, deutsch auszusehen
Es war eine tolle Idee von Katja gewesen, sich im Quartier Les Halles zu treffen. Paula liebte das bunte Treiben in den Straßen mit ihren vielen Boutiquen, Secondhand- und auch Sexshops. Doch die Markthallen selbst hatte sich Paula ganz anders vorgestellt. Anstelle des im zwölften Jahrhundert erbauten Marktzentrums, dem sogenannten »Bauch von Paris«, den Émile Zola in seinem Roman »Le ventre de Paris« (1873) beschreibt, stand vor ihnen ein riesiges modernes Einkaufszentrum – Forum Les Halles. Paula war
Weitere Kostenlose Bücher