Fettnaepfchenfuehrer Frankreich
schließlich kein Geschäftsessen, dachte ich. Dass da andere Regeln galten als in Deutschland, hatte ich ja mittlerweile verstanden.
Ich nahm mir vor, den anderen endlich das Gefühl zu geben, dass sie mit mir ganz offen sein konnten, indem ich einfach von selbst ein mir wichtiges Thema ansprach. Ich suchte also krampfhaft nach einem geeigneten Gesprächsthema für das bevorstehende Mittagessen und entschied mich für den neuen Skandal des französischen Präsidenten. Dazu konnten wenigstens alle etwas beisteuern, und ich kam nicht so neunmalklug daher. Es gab Bohnen und Kartoffeln – ehemals tiefgefroren und vorgewürzt – und dazu ein großes Stück Entrecôte, für alle roh und blutig und für mich gut durch, also ziemlich hart. Sofort wurde über das Fleisch gesprochen, wo es gekauft worden war und dass es sehr gut schmeckte, was es wohl zum Abendessen gäbe und was es neulich bei Freunden gab. Ich versuchte einzustimmen, dass es köstlich sei, doch es kam mir vor, als glaubte man mir nicht. Niemand ging auch nur ansatzweise auf meinen Kommentar ein. Als eine Pause entstand, fasste ich mir ein Herz und fragte schnell, aber so, dass es alle gut hören können: » Qu’est-ce que vous pensez de Sarkozy? « (Was halten Sie eigentlich von Sarkozy?) Befremdliche Stille. Auch Matthieu war plötzlich intensiv mit seinem Essen beschäftigt. Da keiner antwortete, richtete ich mich direkt an den Vater, den Herrn des Hauses. » On a entendu en Allemagne qu’il y avait ce grand scandale. « (In Deutschland hat man von diesem großen Skandal gehört.) Matthieus Mutter errötete. Und dann, endlich, ein leises »Ah« seitens meines Fast-Schwiegervaters, der dabei keine Sekunde von seinem Teller aufschaute, sondern ruhig fortfuhr: » On entend beaucoup de choses. Je ne sais pas. Je ne peux pas juger. « (Ach, man hört so einiges. Ich weiß nicht. Ich kann es nicht beurteilen.) Und kaum hatte er das zu Ende gesprochen, fügte er hinzu. » Elle est vraiment bonne, cette viande! « (Es ist wirklich gut, dieses Fleisch!) Ich konnte es nicht fassen, Paula! Es musste doch um Himmels willen möglich sein, ein einigermaßen gehaltvolles Tischgespräch zu führen? Wir waren doch in Frankreich, dem Land der Philosophen, der großen Dichter und Denker. Das erste, was ich im Französischunterricht gelernt hatte, war, wie sehr die Franzosen ihre Sprache liebten. Warum in Gottes Namen sprachen sie dann hier ständig nur über Fleisch und Regen?
Ich wagte einen zweiten Versuch: » Et que dites-vous par rapport à la nourriture biologique? « (Und wie stehen Sie zu biologischer Ernährung?) Mein Freund schaute mich leicht verärgert, fast flehend an. Ich hörte also auf zu fragen und stocherte energisch in meinem Entrecôte herum. Wieder nur allgemeines Schweigen, und als ich mich auf die inzwischen kalten Bohnen konzentrierte, war man auch schon wieder beim Wetter. Wie lange es wohl noch so regnen würde und dass am Nachmittag wieder Tennis im Fernsehen zu sehen sei. Das Tournoi de Roland-Garros, der offizielle Name der French Open, das wollten sie alle zusammen schauen. Ich wusste nicht, ob ich wütend oder einfach nur irritiert sein sollte. Wie konnte man denn so gar keine Meinung haben? » Pour moi, il n’y a pas moins d’intéressant que regarder un match de tennis à la télé « (Für mich gibt es nichts Langweiligeres, als ein Tennisspiel im Fernsehen anzuschauen), sagte ich provokativ. Keiner reagierte auf meinen Beitrag. » Je vais chercher la salade « (Ich werde den Salat holen), sagte meine Fast-Schwiegermutter. Und als sie gegangen war, unterhielten sich Matthieu und sein Vater darüber, wer wohl das Tennismatch gewinnen würde. Den Nachmittag, beschloss ich, würde ich wieder in der Altstadt und in den herrlichen Dessousläden von Rouen verbringen.«
Was ist diesmal schiefgelaufen?
Hier prallen deutsche Direktheit und französische Vornehmheit geradezu köstlich aufeinander. Mit jeder Frage, die Katja stellt, die nicht das Essen, das Wetter oder das letzte Tennismatch betrifft, katapultiert sie sich ins Aus der Tischunterhaltung. Denn zum einen ist sie noch nicht offiziell Teil der Familie und damit auch keineswegs befugt, die Themen am Tisch auf so direkte Art und Weise vorzugeben. Auch wenn das keineswegs bestimmend oder tonangebend von ihr gemeint war. Und zum anderen sind die Themen, die Katja in ihrer Verzweiflung ausgewählt hat, genau die falschen. Weder Politik noch Bionahrung sind in Frankreich eine
Weitere Kostenlose Bücher