Fettnaepfchenfuehrer Italien
zu stellen. Nichts Verfängliches, doch Interesse an Familiendingen zu zeigen gehört zum guten Ton in Italien, ist die Familie doch die wichtigste kleinste Einheit der italienischen Gesellschaft. Man braucht auch nicht gehemmt zu sein, Fragen über das Privatleben zu stellen, solange sie nicht intime Bereiche berühren.
Die Familienfixiertheit der italienischen Gesellschaft erklärt auch, warum Stefano Lo Mele seine Frau entschuldigen lässt. Diese Orientierung ist historisch gewachsen, und sie führt auch dazu, dass Trombetta und Lo Mele nicht ganz nachvollziehen können, dass Paul Weiss kaum nach Hause fahren möchte. Erst als sie erfahren, dass Weiss‘ Tochter Franziska ebenfalls in Rom lebt, ist für sie die Welt wieder in Ordnung.
Eigentlich wäre es keine Überraschung, wenn Stefano Lo Mele und Jacopo Trombetta verwandt wären. Denn häufig werden Schlüsselpositionen in Unternehmen komplett von einer Familie eingenommen: Der Vater führt das Unternehmen (leider ist auch in Italien der Anteil der weiblichen Führungskräfte zu gering!), der Sohn ist für das Marketing verantwortlich, der Schwager leitet die Produktion und so weiter. Diese Vetternwirtschaft, die in Italien bei Unternehmen keineswegs negativ gesehen wird, sondern als Normalität, findet sich auch in anderen Bereichen der Gesellschaft. So ist beispielsweise der Fall eines Universitätsrektors publik geworden, der zahlreiche Stellen mit Familienangehörigen besetzt hatte und das mit der intellektuellen Überlegenheit von Professorenkindern begründete.
Die Welt außerhalb der Familie gilt Vielen als gefährlich oder feindlich, die Familie dient als eine Trutzburg gegen sämtliche Übel der Gesellschaft, sie gibt Sicherheit in einem Staat, der wenig Sicherheit vermittelt. Sie organisiert die Betreuung im Krankheitsfall, sie organisiert die Pflege der Alten, sie sichert der nachwachsenden Generation den Wohlstand – viele Eltern kaufen ihren studierenden Kindern eine Wohnung oder geben reichlich Zuschüsse zum Start ins Berufsleben, indem sie beispielsweise unbezahlte Praktika »finanzieren«. Allerdings bröckelt diese Trutzburg. Die herkömmliche Familienstruktur löst sich langsam aber stetig auf.
Vom Staat erwartet sich der Italiener in der Regel wenig, und das Konzept eines Sozialstaates, der die Schwachen unterstützt und aufpasst, dass niemand durchs soziale Netz fällt, hat in Italien wenig Fürsprecher. Diese Aufgabe weist man den Familien zu, der Staat wird stattdessen als etwas wahrgenommen, was bloß Geld kostet, nämlich Steuern, und dabei nicht einmal verantwortungsvoll mit dem ihm anvertrauten Geld umgeht. In der Tat ist die Steuerquote in Italien sehr hoch, allerdings sind die Italiener auch maximal findig darin, die Steuerlast zu minimieren. Immer mal wieder finden Finanzbeamte heraus, dass ein Besitzer eines Ferraris ein monatliches Einkommen von 1.000 Euro angibt. Oder ein Mann ein sehr geringes Einkommen von 600 Euro pro Monat hat, sich aber ein Pferd hält, dessen Pflege ihn monatlich 800 Euro kostet.
Was können Sie besser machen?
Essen zu gehen ist in jedem Fall gut. Persönliche Beziehungen sind in Italien sehr wichtig, Essen auch, daher nimmt das gemeinsame Mahl eine wichtige Rolle beim Anbahnen von Beziehungen, auch geschäftlicher Art, ein. Ohne einen Restaurantbesuch geht es meistens nicht. Grundsätzlich sind soziale Bande verpflichtender in Italien. Das trifft natürlich für Familienbeziehungen zu, wo Kinder oft in der Nähe ihrer Eltern bleiben, um im Pflegefall für sie da sein zu können – als Dank für die Unterstützung, die sie ihnen früher gewährt haben. Das trifft auch auf Freundschaften zu, die von Italienern aber nicht als funktionalisiert betrachtet werden, sprich, sie gehen keine Freundschaften ein mit dem Ziel, am Ende ein bestimmtes Entgegenkommen von ihrem Freund verlangen zu können. Wenn es aber nötig ist, erwarten sie, dass ihrem Wunsch entsprochen wird.
Es ist auch gut, dass Herr Weiss noch nicht in Sachfragen eingestiegen ist, sondern das Essen nur dem persönlichen Kennenlernen diente. Eine gute Sache war ebenfalls, den Termin für ein Essen recht kurzfristig anzusetzen, so wie es Herr Weiss hier gemacht hat. Am Mittag zu fragen, ob man am Abend gemeinsam essen geht, ist in Italien kein Problem, ja, oft ist es sogar zielführender als ein lange im Voraus organisierter Restaurantbesuch.
Wie Paul Weiss das Neue nicht vom Alten unterscheiden kann
Komplimente müssen nicht immer ehrlich
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