Fettnaepfchenfuehrer Italien
voll beladene Platte mit allerlei Leckereien vor ihnen auf dem Tisch: eingelegte Artischocken, gegrillte Paprika, gedämpfte Champignons, Meeresfrüchte und natürlich auch wieder Frittiertes.
»Das sieht sehr gut aus«, sagte Trombetta, »gute Wahl, Herr Weiss, dieses Restaurant.«
»Meine Tochter hat es ausgesucht, ich war schon einmal hier.«
»Gute Tochter«, sagte Trombetta, der den Mund jetzt schon voll hatte. Auch Paul Weiss nahm sich von allem etwas. Er hatte eigentlich gar keinen allzu großen Hunger, aber die Sachen auf der Platte sahen allesamt äußerst lecker aus.
In der Folge bestellten Trombetta: Tortelloni alla panna , ein Steak mit gebackenen Kartoffeln, dazu Salat, im Anschluss noch etwas Käse, ein Dolce , nämlich Panna cotta , einen Kräuterbitter und einen Kaffee.
Lo Mele: Spaghetti amatriciana , also mit Speck und Pecorino , eine Scamorza vom Grill mit Spinat und Brot, ein Stück Kuchen, dann noch ein Eis, einen Likör und Kaffee.
Weiss: eine Lasagne Bolognese .
Er habe keinen so großen Hunger, sagte er, während Stefano Lo Mele und Jacopo Trombetta Löffel um Löffel und Gabel um Gabel die Teller leerten.
Schließlich gab Paul Weiss dem Drängen der Beiden nach und bestellte wenigstens noch einen Kräuterbitter.
Was ist diesmal schief gelaufen?
Sich beim formalen, ausgiebigen Essen nur ein Primo bestellen, das geht nicht in Ordnung. Besser ist es, wenn man nicht so viel Hunger hat, alle Gänge mitzumachen, aber nicht den Teller leer zu essen, sondern einfach immer einen Rest zurückgehen zu lassen. Nur ein Primo zu ordern, gilt als »Touristensünde«. Eine Ausnahme davon macht die Pizza: Wer in einer Pizzeria essen geht, kann guten Gewissens lediglich eine Pizza bestellen und dazu ein Bier – keinen Wein übrigens. In Neapel gibt es in einigen Pizzerien sogar gar keinen Wein. So hat die berühmteste napolitanische Pizzeria »Da Michele« nur fünf Dinge im Angebot: Pizza Margherita, Pizza Marinara (ohne Käse, nur mit Knoblauch und Tomate), Wasser, Cola und Bier. Dennoch kam Bill Clinton hierher, als er noch US-Präsident war. Und dennoch stehen abends lange Schlangen vor dem Lokal, auch wenn die geringe Auswahl die »Abfertigungszeit« für Gäste wesentlich verkürzt.
Ein vollwertiges Essen in einem Restaurant besteht immer aus mehreren Gängen, deren Reihenfolge genau festgelegt ist. Im Maximalfall sind das:
der Aperitivo , dann die Antipasti ,
gefolgt vom Primo , wie bereits beschrieben,
dann das Secondo mit mindestens einem Contorno , also einer Beilage, die auch eine Insalata (Salat) sein kann,
Formaggio (Käse),
Dolci gefolgt von frutta oder anders herum (Nachtisch),
dann der Caffè , also Espresso.
Der Amazzacaffè schließt das Essen dann ab. Übersetzt heißt das Kaffeemörder , und gemeint ist damit entweder ein Amaro (Kräuterbitter), ein Limoncello (Zitronenlikör), auf Sardinien häufig ein Mirto , ein Likör, der aus einem Gemisch von Blättern und Beeren der Myrte, einem bis zu fünf Meter hohen Strauch, gewonnen wird. Natürlich hat auch die Grappa das Zeug zum Kaffeemörder, und sogar die Sambuca , ein Kaffeelikör, kommt infrage. Dieser Likör wird häufig mit Kaffeebohnen im Glas serviert und angezündet.
Eine Besonderheit gibt es bei Hochzeitsessen, zumindest bei traditionell gehaltenen: Zwischen zwei Secondi – einem Fisch- und einem Fleischgericht - wird oft ein Limonensorbet serviert.
Diese Essensliturgie wird feierlich zelebriert, während des Essens wird geredet, es darf auch lauter werden am Tisch, man lässt sich Zeit und genießt. Wer wie angestochen nach dem letzten Bissen aufspringt und bezahlen will, wird schräg angeschaut. Allerdings bleibt man danach auch nicht ewig sitzen, sondern trinkt noch aus, und damit hat es sich dann. Noch eine Flasche Wein nachzubestellen oder noch bei einem weiteren Bier sitzen zu bleiben, ist unüblich.
Was bei deutschen Geschäftsessen durchaus vorkommt, nämlich dass viel Alkohol getrunken wird, passiert in Italien kaum. Man trinkt ein Glas Wein zum Essen, vielleicht auch zwei, aber man betrinkt sich nicht mit Geschäftspartnern, wie überhaupt das Betrinken in der italienischen Kultur kaum eine Heimat hat. Auch hier gilt: Genießen!
Herr Weiss hat also einiges richtig gemacht bei seinem ersten italienischen Geschäftsessen. Dennoch wäre es noch besser gegangen. Beispielsweise wäre es nicht verkehrt gewesen, mehr von seiner Familie zu erzählen und auch mehr Fragen zu den Familien von Lo Mele und Trombetta
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