Fettnäpfchenführer Spanien - Wie man den Stier bei den Hörnern packt
Redegeschwindigkeit der Spanier noch nicht ihre Höchstform erreicht hat. Vielleicht ist es ein Tribut an den anderen Tagesrhythmus. Deshalb beschränkt sich die Begrüßung am Morgen auch meist auf ein einfaches buenos días , guten Morgen, allenfalls noch die Frage: ¿Has dormido bien? [as dor mi do bjen] (Hast du gut geschlafen?) Das war’s dann. Nehmen Sie es auf keinen Fall persönlich, sollte Ihnen so etwas wie Lena widerfahren.
Und warum lässt man sie eigentlich nicht alleine zum Frühstücken in die Bar oder Konditorei gehen? Wieso muss da schon wieder jemand mitgehen und sie begleiten? Sie ist doch kein Baby mehr. Nein, es besteht wirklich keine Gefahr, dass sie sich verläuft und nicht wieder nach Hause findet. Es besteht auch keine Gefahr, dass sie in der Bar von fremden Männern angesprochen wird und sich im Bedarfsfall nicht zu helfen weiß oder dass man sie übers Ohr haut. Was ist also so schlimm daran, dass sie einmal etwas alleine unternehmen will? Das alles schießt Lena durch den Kopf, während sie darauf wartet, dass Charo wieder aus dem Badezimmer herauskommt, in das sie vor 15 Minuten mit der Aufforderung »Warte Lena, ich bin sofort fertig!« entschwunden ist.
Für Spanier, Frauen wie Männer, ist es kaum zu ertragen, ihren Besuch alleine irgendwo hingehen zu lassen. Alleinsein ist gleichbedeutend mit Traurigsein, von den Freunden verlassen, von den Gastgebern vernachlässigt. Und das ist etwas ganz Schlimmes, ja Unerträgliches. Einsamkeit, soledad [sole da (d)], hat eine fast ausschließlich negative Bedeutung und muss unbedingt verhindert werden. Spanier haben entweder eine große Familie oder viele Freunde, meistens sogar beides. Eine Person, die allein auf der Strandpromenade oder in der Stadt herumspaziert, die allein im Café sitzt, ist im Grunde ein trauriger Anblick. Wenn im Haus, in der Wohnung jemand sagt, er gehe noch schnell zur Post oder Apotheke, gibt es mit Sicherheit immer mindestens einen oder eine, die spontan sagt: »Ach, warte einen Moment, ich komme mit.«
Etwas länger als 15 Minuten dauert es sicher, aber dann ist Charo soweit fertig und sie machen einen gemeinsamen Stadtbummel. So kommt Lena doch noch, und völlig unverhofft, zu ihrem Sightseeing! Denn Charo erzählt ihr einiges über die Stadt und die Weinbauflächen rings herum. Yecla lebt vom Weinanbau und Charo ist eine echte Expertin, wenn es um den Ort und seine Geschichte geht. Natürlich kennt Charo auch die beste pastelería in der Stadt, und Lena probiert diverses Kleingebäck und ist schließlich satt und zufrieden, sogar mit sich und der Welt. Das ist die beste Gelegenheit, die eine Frage, die sie seit ihrem kleinen Schwips vom Vorabend beschäftigt, zu stellen:
»Charo, warum trifft man in Spanien eigentlich kaum auf Betrunkene, obwohl in den Kneipen nicht gerade wenig getrunken wird?«
»Getrunken wird schon, das stimmt«, sagt Charo. »Aber wir mögen es gar nicht, wenn jemand betrunken ist, weißt du? Das gehört sich für einen Erwachsenen nicht. Soweit muss man sich unter Kontrolle haben, dass das nicht passiert.«
Lena bekommt rote Bäckchen, lässt sich aber so schnell nicht abwimmeln. »Ja, aber wie macht ihr denn das? Zu jeder Tapa gibt es eine caña . Wie schafft man es denn, dabei nicht zu viel zu bekommen?«
Was können Sie besser machen?
»Also pass auf, Lena. Trick Nummer eins: Du isst immer eine Kleinigkeit zu jedem Glas Bier oder Wein. Damit schaffst du eine Grundlage für den Alkohol. Verstehst du?«, fragt Charo.
Lena nickt. Wahrscheinlich gibt es deshalb auch so viele Tapas-Sorten und in jeder Kneipe wieder andere, denkt sie.
»Wenn das nicht reicht, kommt Trick Nummer zwei.«
»Aha? Da bin ich aber jetzt gespannt.«
»Ganz einfach. Du trinkst immer nur einen kleinen Schluck von deinem Getränk und lässt den Rest stehen.«
So einfach ist das?, denkt Lena. Also besser vergessen, was sie zu Hause gelernt hat. »Lieber den Magen verrenkt, als dem Wirt was geschenkt«, haben ihre Großeltern immer gesagt, wenn die Familie in einem Restaurant saß. Dieser gewisse Geiz ist also eher etwas typisch Deutsches. Den Spaniern ist es wichtiger, dass sie keinen Schwips bekommen, denn darunter leidet das gesellschaftliche Ansehen. »Lieber dem Wirt was geschenkt, als sein Ansehen verrenkt«, würde Pumuckl, der Kobold mit dem roten Haarschopf, reimen und feststellen: »Alles was sich reimt, ist guuut!«
Der Trick, wenn Sie gerne mal einen Stadtspaziergang allein machen oder einen
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