Fettnäpfchenführer Spanien - Wie man den Stier bei den Hörnern packt
es Espresso und heiße Milch, sodass sich jeder sein Getränk selbst mischen kann: café solo (Espresso), café cortado [kor ta do] (Espresso mit Milch) oder café con leche [kon le tsche] (Milchkaffee).
Als die Mitbewohnerinnen endlich aus den Federn kriechen und sich an den Tisch setzen, bricht keiner in Begeisterungsstürme aus, aber damit hat Lena schon gerechnet. Inzwischen kennt sie ihre Freunde zu gut, um von ihnen zu erwarten, dass sie schon am Morgen zu Höchstform auflaufen. Nur allmählich kommen die Spanierinnen doch in Fahrt. Loli hätte gern Orangensaft, aber den hat Lena vergessen.
Im Lokal oder zum Hotelfrühstück bekommen Sie natürlich zumo de naranja [ thu mo de na ran cha]. Hätten Sie ihn gern frisch gepresst, dann verlangen Sie ihn nicht fresco , denn das bedeutet »kühl«, sondern zumo natural [ thu mo natu ral ]. Der »Natürliche« ist frisch gepresst.
Das pan integral bleibt ebenso wie die Butter und Marmelade von den Spanierinnen unberührt. Auch legen sie sich Schinken und Käse nicht aufs Brötchen, beobachtet Lena, sondern zerreißen das schöne Brötchen und stecken sich abwechselnd ein Stück Schinken und danach ein Stück Brot in den Mund. Bäh. Aber gut, jeder, wie er meint.
Nach und nach wachen sie auf und es kommt Leben in die Bude. Jetzt gibt es die Abenteuer der letzten Nacht zu hören. Loli beginnt die Lokale aufzuzählen, durch die sie mit Freunden getingelt ist, nach dem zweiten schreit Rafa schon dazwischen und möchte wissen, ob sie dort nicht Pepe getroffen habe.
»Nein, nein, Pepe habe ich die ganze Nacht nicht gesehen.«
»Das gibt es doch nicht«, sagt Rafa, »der ist doch jeden Freitagabend unterwegs. Denk doch noch mal nach. Vielleicht im Sol y Sombra oder in der Jazzbar, wie heißt sie nochmal? Desdén .«
»Nein, Pepe hab ich ganz sicher nicht gesehen, vielleicht war er ja krank oder seine neue Freundin hat ihn nicht aus dem Bett gelassen.«
»Was? Pepe hat schon wieder eine neue Freundin?«, kreischt Abi. »Jetzt sind sie endlich wach«, denkt Lena, und Abi erzählt, dass es wieder eine ungeheure marcha [ mar tscha] war, ein richtiger Rummel, der bis in die Morgenstunden die Straßen der Innenstadt bevölkerte.
¿Me pasas el jamón? – Gibst du mal den Schinken rüber? – Oye, ¿hay más café? – Hör mal, gibt’s noch Kaffee? – Los cruasanes están muy ricos, ¿hay más? – Die Croissants sind sehr lecker, gibt’s noch mehr davon?
Ihren Gästen schmeckt es offenbar, aber etwas ist doch anders als in Deutschland. Lena merkt, dass sich da ein ungutes Gefühl in ihr regt. Irgendwie ist sie sauer und wird es immer mehr. Die könnten ruhig mal Bitte und Danke sagen, findet sie, wenn sie sich schon nicht ausdrücklich bei ihr für das Frühstück bedanken. Sie ist gerade dabei, sich zu entschließen, ihren Freunden etwas Nachhilfe in Benehmen zu erteilen. » Oye, ¿me puedes dar el queso? « hört sie da Loli fragen. »Hör mal, kannst du mir den Käse geben?« Hallo? Fehlt da nicht was? So ein kleines Wörtchen vielleicht, das man spätestens im Kindergarten gelernt haben sollte?
»Na, Loli«, fragt Lena nur halb im Spaß, »wie heißt denn das Zauberwort?«
» ¿Ehhhhh? «, macht Loli. »Was meinst du denn mit palabra mágica ?«
»Na, ›bitte’, ›danke‹ und so was. Die heißen bei uns Zauberwörter.«
»Wieso denn?« Alle starren sie an, als spräche Lena chinesisch.
Aber so sehr Lena versucht zu erklären, dass es in Deutschland üblich ist, »bitte« zu sagen, wenn man etwas möchte, und »danke«, wenn man es bekommt, ihre Mitbewohnerinnen scheinen nicht zu begreifen, wozu das gut sein soll. Irgendwann gibt Lena es auf und befüllt einfach noch eine Espressokanne und hofft, dass die Unterhaltung wieder in Schwung kommt und keiner mehr an ihre deutschen Zauberwörter denkt.
Was ist da schiefgelaufen?
Lena hat hier ein zwar nicht tragisches, aber doch fundamentales interkulturelles Missverständnis aufgedeckt. Unsere Höflichkeitswörter (bitte, danke, entschuldigen Sie, könnten Sie, könnte ich usw.), die für uns zum gesitteten Umgang zwischen zivilisierten Menschen gehören, haben diesen Wert in Spanien nicht . Sie werden sie mit Sicherheit viel seltener hören als bei uns. Noch schlimmer ist der Kulturschock in dieser Hinsicht, wenn Sie mit dem Auto nach Spanien reisen, denn dann kommen Sie zwangsläufig vorher durch Frankreich, ein Land, das für seinen höflichen Umgangston bekannt ist. Wenn Sie in Frankreich in eine
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