Fettnäpfchenführer Spanien - Wie man den Stier bei den Hörnern packt
Tagen verzichten werden, um den Verlust in der Reisekasse irgendwie zu kompensieren. Jetzt geht es erst mal raus. Raus aus der Großstadt, Richtung Südwesten. Nico fährt, Tom liest die Karte und Annika genießt den Ausblick und lernt ein bisschen Spanisch. Tom verbessert ihre Aussprache, wenn es nötig ist. Und es ist eigentlich bei jedem Satz aus ihrem Lehrbuch nötig.
»Wollen wir eigentlich autopista oder autovía fahren?«, fragt Tom nach Abschluss von Lektion 1, die » Hola, ¿qué tal? « heißt.
»Was?«, fragt sein Bruder Nico. »Du bist doch hier der Spanienexperte. Was ist denn da überhaupt der Unterschied?«
»Die autopista ist besser ausgebaut und kostet Geld ...«
»Sprichst du von Maut?«
»Genau, peaje [pe_ a che]. Wir könnten die AP-41 Madrid–Córdoba nehmen. Bis Toledo ist sie bereits fertiggestellt. Das geht am schnellsten.«
»Och, auf Autobahnen sieht man aber gar nichts, nur Autos«, wirft die spanisch lernende Rückbank ein. Wahrscheinlich wird sie für die zweite Lektion länger als die 70 Fahrminuten nach Toledo brauchen.
»Außerdem zu teuer«, entscheidet Nico. »Wir sind doch grade zur Kasse gebeten worden, da nutzen wir doch gleich die Gelegenheit und sparen, ohne dass es weh tut.«
»Dann nehmen wir die A-42, die Autovía de Toledo , die ist auch vierspurig auf der Karte eingezeichnet und kostet nix, außer Benzin natürlich.«
»Na prima!«, freut sich Nico. »Sag mal, wo muss ich denn am nächsten Kreisel eigentlich raus?«
»A-42, siehst du? Hier ... hier hättest du abbiegen müssen.«
»Kannst du mir das beim nächsten Mal eine halbe Umdrehung früher sagen?«
Nico fährt noch einmal eine Runde und versucht sich rechts zu halten. Es gelingt aber nicht, weil ihn keiner auf die rechte Spur hinüberlässt. Nicos Halsader schwillt bedrohlich an.
»Ja sind die denn alle geisteskrank? Kann mich da mal bitte einer reinlassen? Denken die, ich habe vergessen meinen Blinker abzuschalten?«
Annika steckt die Nase noch tiefer in ihr Buch. Nico fährt jetzt schon die dritte Runde in dieser namenlosen rotonda , einem viel befahrenen mehrspurigen Kreisel. Beim vierten Mal versucht Nico es mit Gewalt, sprich: abrupter Beschleunigung. Die Lücke war aber wohl doch zu eng, denn hinter ihnen kracht es und der Ibiza macht einen kleinen Satz nach vorne. »Touché«, würde der Franzose sagen.
Nico schnappt nur noch nach Luft. Tom denkt, das gibt es doch gar nicht, da rollt Nico schon auf den Randstreifen, reißt die Tür auf, springt raus und nimmt das Heck seines Wagens in Augenschein. Nebenbei beschimpft er den Fahrer des Wagens hinter ihm mit allem, was sein Berlinerisch auf die Schnelle hergibt, und das ist eine ganze Menge. Dabei ist der Übeltäter – Nico hat ihn anders genannt – noch nicht einmal ausgestiegen. Er muss erst noch sein Handytelefonat zu Ende führen. Als er schließlich aussteigt, um den Schaden zu begutachten, beachtet er Nico, der sich wie Rumpelstilzchen aufführt, überhaupt nicht.
» No es nada, tío «, ist alles, was er sagt, als Nico doch einmal Luft holen muss.
»Was sagt er?«
»Dass eigentlich gar nichts passiert ist«, übersetzt Tom.
»Waaas?«
»Ich kann auch nichts finden, du vielleicht?«
»So wie das gekracht hat? Bist du blind? Hier, hier ist ein Kratzer an der Stoßstange.«
»Der könnte auch schon vorher da gewesen sein«, mischt Annika sich ein. »Wir haben doch Vollkasko. Also, was regst du dich überhaupt auf, Nico?«
Nico möchte die Versicherungsnummer des Spaniers haben, aber der wiederholt nur noch einmal kopfschüttelnd: » No es absolutamente nada «, steigt in seinen SEAT Alhambra und fährt davon.
Mit viel Überredung gelingt es Tom und Annika schließlich, Nico wieder ins Auto zu schaffen. Auf der Rückbank soll er wieder zur Ruhe kommen. Tom setzt sich ans Steuer, Annika übernimmt die Rolle des Copiloten mit der mapa (Landkarte) auf dem Schoß.
Was ist schiefgelaufen?
Da hat sich Nico mit seinem cholerischen Auftritt schon fast als »hässlicher« Deutscher geoutet. Seine ganze Aufregung perlte an dem gelassen-coolen Spanier ab wie Regentropfen an einem Lotusblatt. In Spanien wird wegen eines Minikratzers an einem Mittelklasse- oder Kleinwagen nicht die ganze Tür neu gespritzt wie bei uns. Kleine Auffahrunfälle mit Minibeulen fallen in Spanien in aller Regel unter die Kategorie Bagatellen, Petitessen, Peanuts. Außer notorischen Cholerikern regt sich kaum jemand darüber auf. Wenn Sie mal genauer hinschauen,
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