Fettnäpfchenführer Spanien - Wie man den Stier bei den Hörnern packt
lassen. Das hat er von den Spaniern gelernt.
Das Klirren kam vom Rücklicht des Ibiza, das beim Zusammentreffen mit der fremden Stoßstange eingedrückt wurde. Ist die Schramme an der Stoßstange nun noch nada oder schon algo , »etwas«? Tom und Annika sehen sich um: Es kommt keiner schimpfend angerannt. Was tun?
Tom geht in den kleinen Tante-Emma-Laden, vor dem es passiert ist. Vielleicht weiß da jemand, wem der Wagen gehört. Tante Emma, die eigentlich Doña Amelia heißt, weiß, dass Don Pacífico der Besitzer des Wagens ist und ruft ihn auch gleich an. Es dauert ein Weilchen, bis der ältere Herr aus dem Wohnhaus nebenan angeschlurft kommt. Er ist nicht mehr so gut zu Fuß, aber elegant, mit weißem Hemd und Strickjacke. Ein freundlicher Herr, der einen kurzen Blick auf die Schramme wirft, befindet, es sei so gut wie nada , und ihnen gleich für das Rücklicht die Werkstatt seines Neffen empfiehlt. Er habe die Karte mit der Telefonnummer in der Wohnung, ob die señores alemanes nicht kurz mitkommen wollten. Tom und Annika gehen mit, trinken ein Gläschen Schnaps, während er mit seinem Neffen telefoniert, und kosten von den feinen Marzipanpralinen, die Don Pacífico ihnen anbietet (Anm.: Konfekt aus mazapán (Marzipan) ist eine Toledaner Spezialität und eignet sich auch hervorragend als Mitbringsel.). Der Neffe, Quique [ ki ke], erwarte sie schon in seinem taller und werde sich heute noch um den Schaden kümmern. Er mache es auch ganz preiswert, versichert der alte Herr und drückt ihnen seine Visitenkarte in die Hand
Spanier empfehlen am liebsten Helfer und Dienstleister aus der eigenen Familie und arbeiten auch am liebsten mit ihren eigenen Leuten zusammen. Die Verflechtungen innerhalb der familia sind hier sehr eng und gehen weit über das reine Verwandtschaftsverhältnis und die Kontakte zu Jubiläen und Feiertagen hinaus. Wenn man im Berufsleben von solchen Verbindungen profitieren kann, tut man es in jedem Fall. Diese »Spezl-Wirtschaft« hat in Spanien den Namen: Sie heißt enchufe , Steckdose. Tener enchufe bedeutet: gute Beziehungen, »Vitamin B« haben.
Sie plaudern noch ein Weilchen, dann verabschieden sich die beiden Unfallverursacher, spüren Nico in der Bar auf und fahren dann zusammen in die Werkstatt. Quique erledigt alles schnell und zum absoluten Sonderpreis, tarifa familia nennt er das, empfiehlt ihnen auch gleich noch das preiswerte Hostal ► seiner Schwägerin Rosita und bringt sie sogar selbst dorthin. Sogar eine Parkgarage gehört zum Hostal, in der der Ibiza abgestellt wird. Und kurze Zeit später ziehen die drei zu Fuß los, endlich Toledo, die mittelalterliche Stadt in den mächtigen Stadtmauern, zu erkunden.
Hostales sind typisch für Spanien und Lateinamerika. Hostales können einfacher und preiswerter sein als Hotels, müssen es aber nicht. Es gibt hostales , die wie pensiones wenig Komfort bieten und in der Regel auch kein Frühstück. Und es gibt durchaus luxuriöse hostales mit allem Komfort. Das ist von Fall zu Fall sehr verschieden. Lassen Sie sich übrigens bei hostales oder pensiones nicht davon abschrecken, dass es kein Frühstück gibt. Sie können in jeder Bar, jedem Café an der Ecke preiswert frühstücken, oft besser als in einfachen Hotels, wo das Frühstück Spanien-typisch meist eher karg ausfällt.
»Ich komme mir vor wie in einer Zeitmaschine«, sagt Annika.
»Hier waren sie alle«, doziert Tom, »und haben ihre Spuren hinterlassen: Römer, Goten, Araber, Juden, Christen.«
»Und hier sind auch die Synagogen, von denen du erzählt hast. Sehen wir uns die an? ¿Vamos? «, fragt Annika.
Zwei nach oben gereckte Daumen signalisieren: ¡vamos!
Das Alhambra-Edikt – Ende des jüdischen Lebens in Spanien
1492, nach der endgültigen Rückeroberung der Iberischen Halbinsel von den Arabern, ordnete das Alhambra-Edikt die Vertreibung aller Juden an. Die Katholischen Könige Isabella von Kastilien und Ferdinand von Aragon, die Gründer der spanischen Nation, hatten während der Reconquista noch vom Geld jüdischer Finanziers profitiert. Nun stellten sie eine Bevölkerungsgruppe, die seit Jahrhunderten auf der Iberischen Halbinsel ansässig und gesellschaftlich integriert war, vor die Wahl von Vertreibung oder Konvertierung.
Wie viele Juden damals Spanien verließen, ist nicht gesichert, mindestens jedoch 90.000 – immerhin ein Zehntel der damaligen Bevölkerung in Kastilien und Aragon. Die Conversos , also die Konvertiten, die verächtlich auch marranos ,
Weitere Kostenlose Bücher