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Feuchtgebiete: Roman (German Edition)

Feuchtgebiete: Roman (German Edition)

Titel: Feuchtgebiete: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Roche
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Abtrocknetuch.
    Der Herd ist offen. Es riecht nach Gas. Was macht man da? Ich hab mal in einem Film gesehen, wie jemand beim Gehen Funken geschlagen hat und das ganze Haus in die Luft geflogen ist. Also, schön langsam und vorsichtig zum Herd schleichen, es schlafen ja auch Leute, und das Gas abdrehen. Als Nächstes Fenster auf und Feuerwehr rufen. Die Nummer für den Krankenwagen fiel mir nicht ein. Die beiden werden abgeholt, sie schlafen immer noch, ich darf mitfahren. Zwei Krankenwagen. Eine Familienkolonne. Blaulicht. Martinshorn. Im Krankenhaus werden ihnen die Mägen ausgepumpt, und Papa kommt von der Arbeit dahin.
    Die ganze Familie hat nie darüber gesprochen. Mit mir jedenfalls nicht. Deswegen bin ich mir nicht ganz sicher, ob ich das geträumt habe oder erfunden und mir selber so lange eingeredet, bis es wahr wurde. Könnte sein.
    Ich wurde von Mama zu einer sehr guten Lügnerin ausgebildet. Sodass ich mir alle meine Lügen sogar selber glaube. Das ist manchmal sehr unterhaltsam. Manchmal aber auch sehr verwirrend, wie in diesem Fall. Ich könnte Mama ja auch einfach mal fragen:
    »Mama, hast du mir mal aus Neid die Wimpern abgeschnitten? Und noch eine Frage: Hast du mal versucht, meinen Bruder und dich umzubringen? Und: Warum wolltest du mich nicht mitnehmen?«
    Ich finde nie den geeigneten Moment.
    Irgendwann sind meine Wimpern nachgewachsen, und ich habe sie immer gefärbt, gebogen und getuscht, um das Beste aus ihnen zu machen und um meine Mutter zu ärgern, falls die Erinnerung wirklich eine Erinnerung ist. Oben und unten sollen meine echten Wimpern aussehen wie dicke, angeklebte Plastikwimpern aus den Sechzigern. Ich mische billige und teure Tuschen, um die ultimativen Fliegenbeine herzustellen. Am besten, man blötscht mit dem Ende der Bürste, wo am meisten dranhängt, einfach in den Wimpern rum. Ziel ist es, dass jeder auf einen Kilometer Entfernung denkt: »Oh, da kommen aber fette Klimperwimpern auf zwei Beinen.«
    Wimperntuschen werden immer damit beworben, dass sie nicht kleben und die Bürste die Wimpernhaare sauber voneinander trennt, damit keine Klumpen entstehen. Das ist für mich das Argument, die Tusche nicht zu kaufen. Als von Verwandtschaft und Nachbarschaft festgestellt wurde, dass ich meine Wimpern niemals abschminke und jeden Tag neu drübertusche, fing die Panikmache an.
    »Wenn man die Wimpern nie abschminkt, kommt kein Licht und keine Luft an die ran. Dann fallen sie aus!« Ich dachte: »Schlimmer als damals kann’s ja nicht kommen.« Und habe mir tolle Tricks ausgedacht, wie ich es schaffe, dass niemals Wasser an meine getuschten Wimpern kommt. Nachdem ich so viel Mühe und Geld in meine Wimpern gesteckt habe, darf ich die nicht einfach beim Duschen zerstören. Wenn monatealte Tusche von warmem Wasser langsam aufgeweicht wird und ins Auge läuft, brennt das außerdem sehr. Das gilt es zu verhindern. Deswegen dusche ich in Etappen. Erst die Haare über Kopf waschen und in ein Handtuch wickeln, das die Tropfen an der Stirn auffangen soll, damit sie nicht ins Auge laufen. Dann den restlichen Körper vom Hals abwärts duschen. Eine Zeit lang habe ich dabei den Hals vergessen und in den drei Falten schwarze Schmandablagerungen bekommen.
    Wenn man dann über den Hals reibt, bilden sich kleine, dunkle, klebrige Würstchen, die so ähnlich riechen wie Eiter. Also entweder man duscht ab dem Gesicht abwärts oder man schrubbelt sich regelmäßig die Würstchen aus den Halsfalten. Hauptsache, das Gesicht kommt niemals mit Wasser in Berührung. Seit Jahren bin ich nicht getaucht, weder in der Badewanne noch beim Schulschwimmen. Ich muss wie eine Oma über das Treppchen ins Wasser steigen, und ich darf nur Brustschwimmen, da ja bei allen anderen Schwimmstilen das Gesicht ganz oder teilweise unter Wasser kommt. Wenn jemand mich im Spaß döppen will, werde ich zur Furie und schreie und bettele und erkläre, dass davon meine Wimpern kaputtgehen. Hat bis jetzt gut geklappt.
    Seit Jahren habe ich kein Wasser von unten gesehen. Das heißt natürlich auch, dass ich mir niemals das Gesicht wasche. Was meiner Meinung nach auch vollkommen überschätzt ist. Beim Abschminken mit Abschminkzeug und Wattepads wäscht man sein Gesicht ja sozusagen. Aber immer schön weit weg von den Wimpern bleiben. Das mache ich schon seit vielen Jahren so. Nur die eine oder andere Wimper ist mal beim Biegen in der Zange hängen geblieben. Und wieder nachgewachsen. Damit habe ich bewiesen, dass einem nicht sofort alle

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