Feuchtgebiete: Roman (German Edition)
mir. Wie soll ich das denn glauben, was die da spielen? Wenn die mich immer daran erinnern, dass ich zugucke. Wenn der Mann aufsteht, wird er plötzlich nur noch von hinten gefilmt. Sehr ärgerlich. So hat mich das Fernsehen als Zuschauerin verloren. Die einzige Ausnahme beim Tittenzeigen im Fernsehen stellen unbekannte Schauspielerinnen dar. Wenn eine obenrum nackt zu sehen ist, kannst du sicher sein, dass sie unbekannt ist. Die Stars zeigen nie was her. So weit ist es mit der Schauspielerei schon gekommen. Ich höre jetzt nur noch Fernsehen, für mein Ratespiel. Ich war aber früher besser darin. Als Kind habe ich sehr viel geguckt, deswegen konnte ich viel besser die Stimmen erraten.
Ich starre auf den schwarzen Bildschirm und versuche mich auf die Stimme zu konzentrieren, die grad spricht. Keine Ahnung. Ich schalte den Fernseher wieder aus. Doch keine Lust zu spielen. Zu zweit ist das viel besser. Ich frage Robin mal, wenn er Zeit hat. Also nie!
Was kann man hier im Zimmer denn noch alles spielen? Mir fällt schon was ein.
Ich drücke mich ganz feste zurück ins Kissen und lege meinen Kopf in den Nacken, damit ich nach hinten über mir sehen kann. Da habe ich bis jetzt noch nicht hingeguckt. Da kommt also das helle Licht her! An der Wand sind mehrere Neonröhren in einer langen Reihe befestigt. Damit man nicht voll geblendet wird, haben die ein Holzverdeck davor gebaut. Ich gucke mir das Muster an und sehe nur Muschis. Immer wenn ich aufgeschnittene Bretter mit Holzmaserung aneinandergelegt sehe, erkenne ich Muschis in allen Formen und Größen. Wie zu Hause an meiner Zimmertür. Türen sind doch mit diesen dünnen Holzschichten beklebt, die so spiegelbildlich angebracht werden. Es sieht genauso aus wie im Kunstunterricht, als ich kleiner war. Man kleckst mit Wasserfarbe und viel Wasser was in die Mitte des Blattes, faltet es zusammen, drückt kurz drauf, klappt es wieder auf, und fertig ist das Muschibild. Ich bemühe mich, was anderes auf dem Neonröhrenverdeck zu erkennen. Geht nicht. Alles nur Muschis! Ich klingele die Notbimmel. Was könnte ich denn wollen? Schnell was ausdenken.
Es klopft, die Tür geht auf. Eine Krankenschwester kommt rein. Obwohl, eigentlich hat sie erst die Tür geöffnet und dann geklopft. Ich bin so höflich dieser trampeligen Schwester gegenüber, dass ich die beiden Aktionen im Kopf vertauscht habe, damit sie besser dasteht vor mir. Bestimmt hat Robin sie geschickt. Den habe ich erst mal verstört. Das muss ich wieder abarbeiten. Die Schwester heißt Margarete. Steht auf dem Schildchen an ihren Brüsten. Ich habe zuerst auf die Brüste geguckt, und dann ins Gesicht. Mache ich oft so rum. Ich bin fasziniert von ihrem Gesicht. Sie ist unglaublich gepflegt. Sagt man doch so: eine gepflegte Frau.
Als wäre das allein schon ein besonderer Wert. In der Schule sagen wir zu solchen Schülerinnen Arzttochter, egal was der Vater arbeitet. Ich weiß nicht, wie die das machen, aber sie sehen immer besser gewaschen aus als die andern. Alles ist sauber und irgendwie behandelt. Jede kleinste Körperstelle wurde mit irgendwas bedacht.
Was diese Frauen aber nicht wissen: Je mehr sie sich um all diese kleinen Stellen kümmern, desto unbeweglicher werden sie. Ihre Haltung wird steif und unsexy, weil sie sich ihre ganze Arbeit nicht kaputtmachen wollen.
Gepflegte Frauen haben Haare, Nägel, Lippen, Füße, Gesicht, Haut und Hände gemacht. Gefärbt, verlängert, bemalt, gepeelt, gezupft, rasiert und gecremt.
Sie sitzen steif wie ihr eigenes Gesamtkunstwerk rum, weil sie wissen, wie viel Arbeit darin steckt, und wollen, dass es so lange wie möglich hält.
Solche Frauen traut sich doch keiner durchzuwuscheln und zu ficken.
Alles, was als sexy gilt, durcheinandere Haare, Träger, die von der Schulter runterrutschen, Schweißglanz im Gesicht, wirkt derangiert, aber anfassbar.
Margarete guckt mich fragend an. Ich soll also sagen, was los ist.
»Ich brauche bitte einen Mülleimer für meine verdreckten Mullbinden. Wenn sie auf meinem Nachttisch liegen, riecht es nicht mehr so gut hier.«
Sehr überzeugend, Helen. Gut gemacht.
Sie hat Verständnis für meinen geschauspielerten Wunsch nach mehr Hygiene im Krankenzimmer, sagt ›natürlich‹ und geht.
Von draußen höre ich Lärm. Da ist was los. Bestimmt nichts Aufregendes. Normale Krankenhaussachen. Ich tippe auf Abendessenausgabe. Hier im Krankenhaus ist man einem festen Zeitplan unterworfen, den sich irgendein Geistesgestörter ausgedacht
Weitere Kostenlose Bücher