Feuchtgebiete: Roman (German Edition)
fünfzehn Minuten, bis alles ab dem Einstich bis zum Zeh taub ist. Das kommt ihm und mir sehr lange vor. Gerechnet in Liter Blut pro Minute. Er geht raus und sagt, er komme gleich wieder. Gut. Ich gucke auf mein Handy, um die Minuten überprüfen zu können. Zehn nach ist es. Um fünfundzwanzig nach bin ich OP-bereit.
Robin kommt rein und erklärt mir, dass der Professor sich gerade fertig macht für meine Notoperation. Dass er deswegen nicht noch mal zu mir kommen kann. Er hat ihm beschrieben, wie viel Blut ich verloren habe. Da hat der direkt die Not-OP eingeleitet.
Notoperation. Mannometer, klingt das schlimm. Aber auch wichtig und aufregend. Als wäre ich wichtig. Guter Zeitpunkt, um meine Eltern hierher zu locken.
Ich schreibe Robin die Nummern meiner Eltern auf und bitte ihn, sie während der Operation anzurufen und hierher zu bestellen.
Der Anästhesist kommt rein und will mit mir in den Operationssaal fahren. Ich fühle an meinen Oberschenkeln und spüre dort die Berührung der Hände. Halt. Ich merke noch alles. Die können mich nicht operieren. Noch nicht. Ich gucke auf mein Handy. Viertel nach. Erst fünf Minuten vergangen.
Das ist nicht deren Ernst. Die warten nicht, bis die Betäubung wirkt. Die haben es noch eiliger, als ich dachte. Sehr beunruhigend alles hier.
Robin schiebt mich raus in den Flur. Die haben mir nicht erlaubt, das Handy mitzunehmen. Wegen der Geräte. Welche Geräte? Fliegen wir dahin, oder was? Ist mir egal.
Soweit ich mich erinnern kann, hängen in allen Fluren und im Vorbereitungsraum Uhren. Diese riesigen schwarzweißen Bahnhofsuhren. Warum hängen die Bahnhofsuhren in Krankenhäuser? Wollen die uns damit was sagen? Ich lass die nicht mit ihren Werkzeugen an meinen Arsch ran, bevor die Viertelstunde rum ist. Egal ob ich verblute oder nicht. Sehr kämpferisch, Helen, aber dumm. Du willst doch nicht sterben.
Das wäre allerdings der perfekte Grund für meine Eltern, wieder zusammenzukommen. In ihrer Trauer würden sie wieder zueinander rücken. Könnten sich nicht von ihrem jeweiligen neuen Partner trösten lassen, weil sie wissen, dass der das Stiefkind nie richtig angenommen hat. Wenn das Stiefkind aber tot ist, wird der neue Partner entlarvt. Dann ist für immer klar, wer den Machtkampf gewonnen und wer ihn verloren hat. Sehr guter Plan, Helen, aber leider kannst du dann nicht mehr erleben, wie sie wieder zusammenkommen. Wenn du tot bist, guckst du nicht von oben zu.
Du bist dir ja sicher dass es keinen Himmel gibt. Dass wir nur hochentwickelte Tiere sind. Die nach dem Tod einfach in der Erde verschimmeln und von Würmern zerfressen werden. Da gibt es nicht die Möglichkeit, nach dem Tod auf die geliebten Elterntiere runterzugucken. Alles wird einfach aufgefressen. Die angebliche Seele, das Gedächtnis, jede Erinnerung und die Liebe werden zusammen mit dem Gehirn einfach zu Wurmscheiße verarbeitet. Auch die Augen. Und die Muschi. Da machen Würmer keinen Unterschied. Die essen Synapsen genauso gerne wie Klitorisse. Denen fehlt da der größere Überblick, was oder wen sie eigentlich gerade verspeisen. Hauptsache lecker!
Zurück zur Uhrzeit. Ich fahre an mehreren Uhren vorbei, und es vergeht nur wenig Zeit. Robin hat es sehr eilig. Er stößt diesmal auch besonders viel an Wände. Ich spüre, dass die Blutpfütze, in der ich liege, immer tiefer wird.
Die Mulde, die ich mit meinem Arsch in der Matratze gebildet habe, ist schon lange vollgelaufen. Dass ich das noch fühlen kann, ist ein sehr schlechtes Zeichen. So wie ich den Betäuber verstanden habe, sollte ich mich doch wie eine Querschnittsgelähmte fühlen, bevor sie loslegen. Wenn ich aber noch so viel Gefühl in den Beinen habe, dann ja wohl auch im Arsch.
Wir sind im Vorbereitungsraum angekommen, hier hängt auch eine Bahnhofsuhr. Wusste ich’s doch. Uhrenmemory gewonnen. Es ist achtzehn Minuten nach. Ich starre auf den langen Zeiger. Robin erklärt mir, dass es sofort weitergeht, sobald der Operationssaal aufgeräumt ist. Ich gucke nicht vom langen Zeiger weg und sage ihm: »Ich nehme es nicht so genau mit der Ordnung. Von mir aus müssen die nicht aufräumen. Ich gucke mir gerne an, was da vorher so passiert ist.«
Robin und der Betäuber lachen. Typisch Helen. In den schlimmsten Situationen immer noch einen flotten Spruch auf den Lippen. Damit bloß keiner merkt, dass ich Angst vor denen und ihren Händen in meinem Arsch habe. Ich bin ja sehr stolz auf die Dehnbarkeit meines Schließmuskels beim Sex, aber
Weitere Kostenlose Bücher