Feuchtgebiete: Roman (German Edition)
mehrere Erwachsenenmännerhände sind auch für mich zu viel. Tut mir leid. Da kann ich nichts Gutes dran finden.
Ich weiß ja jetzt leider schon, wie sich so ein ausgeleierter Schließmuskel anfühlt. Und diesmal machen die das auch noch ohne Vollnarkose.
Diese kranken Schweine. Ich habe Angst. Ich schnappe mir Robins Hand. Die war grad in der Nähe, und ich halte sie sehr fest. Er scheint das gewöhnt zu sein. Es wundert ihn kein bisschen.
Wahrscheinlich macht das jede Oma vor jeder Operation. Die Menschen sind meistens sehr nervös vor Operationen. Wie vor Reisen auch. Ist ja so was wie eine Reise. Man weiß nicht, ob man zurückkommt.
Eine Schmerzreise. Ich quetsche Robins Hand so feste, dass er weiße Druckstellen bekommt, und bohre ihm meine langen Nägel in die Haut, um mich allein vom Muster her von den Omas abzugrenzen. Die große elektrische Tür zum Operationssaal öffnet sich, und eine Krankenschwester mit Mundschutz sagt mumpfig: »Es kann losgehen.«
Schlampe. Voller Panik gucke ich auf die Uhr. Der lange Zeiger macht eine laute, ruckartige Bewegung auf die Vier. Klack. Zwanzig nach! Er wackelt noch nach.
Die müssten noch fünf Minuten warten. Nein. Nicht. Ich spüre noch alles. Bitte nicht schon anfangen. Denke ich. Sage nichts. Selbst schuld, Helen. Du wolltest bluten, und das hast du jetzt davon. Ich muss mich fast übergeben. Sage ich aber auch nicht. Wenn es passiert, werden sie es ja sehen. Jetzt ist alles egal.
»Ich habe Angst, Robin.«
»Ich auch, um dich.«
Alles klar. Er liebt mich. Wusste ich’s doch. So schnell geht das manchmal. Ich nehme meine andere Hand zu Hilfe und halte seine Hand fest umschlossen. Ich gucke ihm feste in die Augen und versuche ein Lächeln. Dann lasse ich los.
Sie schieben mich rein. Heben mich rüber in ein anderes Bett. Die Krankenschwestern nehmen jede eins meiner Beine und hängen sie in lange Gurte, die von der Decke runterkommen. Am Fußgelenk werden sie befestigt und dann stramm nach oben gezogen. Eine Art Flaschenzug. Meine Beine stehen gerade nach oben. Wie eine extreme Frauenarztstellung. Sodass alle gut in meinen Arsch reinkriechen können. Ich sehe lange Wimpern über einem Mundschutz. Prof. Dr. Notz. Robin ist wieder weg. Hat wohl zu schwache Nerven. Der Betäuber setzt sich neben meinen Kopf. Er erklärt mir, dass sie jetzt schon anfangen müssen, weil ich viel Blut verliere. Er sagt, ich denke nur, dass ich noch alles spüre, weil noch ein minibisschen Gefühl da ist. In Wirklichkeit, sagt er, spüre ich aber schon jetzt nur noch einen Bruchteil von dem, was da vor sich geht. Sie haben ein hellgrünes Tuch zwischen meinen Kopf und meinen Arsch gespannt. Wohl damit mein Arsch mein entsetztes Gesicht nicht sieht.
Ich frage den Betäuber ganz leise, was die eigentlich jetzt genau machen.
Er erklärt mir, als wäre ich sechs, dass sie jetzt mit Nähten arbeiten müssen, was sie sonst zu verhindern suchen. Bei meiner ersten Operation haben sie zwar viel weggeschnitten, haben es aber zum Heilen offen gelassen. Das ist für den Patienten viel angenehmer. Jetzt haben wir alle und vor allem ich Pech gehabt. Die müssen jede blutende Stelle einzeln vernähen, und ich habe nachher ein sehr unangenehmes Gefühl von Spannung. Es wird mich sehr zwicken. Lange Zeit. Und ich dachte, unangenehmer kann es nicht kommen. Ach, Helen, was du alles auf dich nimmst für das Wohl deiner Eltern. Rührend. Ha. Während der Betäuber mir meine schmerzhafte Zukunft ausgemalt hat, habe ich gar nicht mehr auf meinen Arsch geachtet. Das heißt wohl, ich bin voll betäubt, mittlerweile. Ich frage den Betäuber nach der Uhrzeit. Fünfundzwanzig nach. Auf die Minute spüre ich nichts mehr. Sehr genau, dieser Mann mit seiner Kunst. Er lächelt zufrieden. Ich auch.
Schlagartig bin ich ganz locker, als wäre nichts geschehen.
Wir können zum leichten Gespräch übergehen. Ich frage ihn ganz unbedeutende Dinge, die mir grad durch den Kopf schießen. Ob er zu Mittag auch in der Kantinencafeteria da unten essen muss. Ob er eine Familie hat. Einen Garten. Ob es schon mal nicht geklappt hat, jemanden zu betäuben für eine Operation. Ob es stimmt, dass Leute, die Drogen nehmen, schwieriger zu betäuben sind. Zwischendrin in den Gesprächspausen male ich mir aus, wie meine Eltern schon gemeinsam in meinem leeren Krankenzimmer auf mich warten, krank vor Sorge. Sich über mich unterhalten. Über meinen Schmerz. Schön.
Und schon sind sie fertig mit dem Vernähen. Ich habe schon
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