Feuer brennt nicht
Gähnen hinter den zusammengebissenen Zähnen oder fragt ihn etwas, über das er gerade gesprochen hat; manchmal nennt sie ihn Mark oder Urs, und dann freut sie sich über seine zärtliche Ohrfeige.
Sie arbeitet zu viel, unter zu großem Stress, das ist zu sehen, trotz der erlesenen Schminke; sie braucht einen zweiten Schnaps, »um runterzukommen«, und erzählt müde von Seminaren und Konferenzen und Dienstreisen, vom Hauen und Stechen unter den Kollegen an der Uni, die sie verächtlich Ärmelschoner nennt, und von ihrem Wunsch, die engstirnige Wissenschaft hinter sich zu lassen und in die Wirtschaft zu gehen. Dabei raucht sie ein wenig von dem Gras, das ihr ein befreundeter Polizist aus Den Haag mitbringt, und wenn er sie neugierig danach fragt, spricht sie auch schon mal über ihre beiden Männer, von denen einer immer gerade derjenige ist, den sie nicht mehr anruft, weil er sich irgendetwas herausgenommen hat. »Stell dir vor, ich schaufle wichtige Termine weg für den und fliege in die Schweiz, und der glaubt ernsthaft …«
Das ähnelt sich stets ein bisschen und soll auch weniger Mitteilung sein als vielmehr ein Temperieren der Atmosphäre, ein Angleichen der Schwingungen kraft ihrer Stimmen, die zunehmend tiefer werden vor Entspannung, rauer auch, als wären sie irgendwo im Unsichtbaren leicht gezackt – wie zarte Rädchen, die ineinandergreifen und ein Uhrwerk in Gang setzen, das zwar keine Zeit anzeigt, aber doch alle Bewegungen im Raum so koordiniert, dass sich ein ewiger Sinn ergibt: etwa, wenn sie ihm eine Haarsträhne hinters Ohr streicht und kurz einmal über seinen Nacken fährt; oder wenn er eine Hand mit gezielter Beiläufigkeit auf ihre Schenkel legt, deren Haut er unglaublich findet, auch wenn man fühlt, dass es wohl die letzte Glätte ist, trotz der Abende im Gym. Gerade weil man es fühlt.
Und während sie mit seinen Fingern spielt und ihm den Unterschied zwischen Internet und Intranet erklärt oder ihn über die Kommunikations-Infarkte in den vollvernetzten Firmen und die damit verbundenen psychologischen Probleme informiert, schiebt er mit der anderen Hand den Frotteestoff zur Seite und zupft behutsam an ihren Haaren und den seltsam langen, ein wenig an die Kehllappen von Geflügel erinnernden Schamlippen. Ändert sich dann ihr Atmen oder hört sie gar auf zu sprechen und schließt die Augen, zieht er die Hand wieder zurück und fragt sie noch dies oder das über ihr Tun, über die Ausdrücke »glass ceiling« etwa oder »Ressource Frau«, was sie nach einem Schlucken auch beantwortet. Aber dabei beugt sie sich bereits vor und öffnet seinen Reißverschluss, und das zarteGeräusch der Zähnchen klingt, als würde jetzt irgendwo über ihnen die nächste Stunde aufgezogen.
Alina scheint davon nichts zu ahnen. Sie ermuntert ihn sogar dazu, wieder einmal um die Häuser zu ziehen und sich in ein Café zu setzen; sie bügelt das Hemd, das Charlotte ihm aufknöpft, und wenn er dann entspannter zurückkehrt und besonders zärtlich mit ihr umgeht, fühlt sie sich offenbar bestärkt in ihrem Glauben, dass ein harmonisches Zusammenleben nur eine Frage der Balance zwischen Nähe und liebevoller Distanz sei. In der ersten Zeit der Seitensprünge wird das in ihren Augen wohl auch dadurch bewiesen, dass er, kaum wieder zu Hause, wo er im dunklen Flur an seinen Händen riecht, nach wenigen Worten mit ihr ins Bett will, und zwar schnell, am besten sofort; denn noch spürt er die andere unter der Haut, schmeckt ihr Aroma, und ein paar Vollmond-Augenblicke lang braucht er das berauschende, seinem Alter und der Angst vor nachlassenden Kräften geschuldete Gefühl, kurz hintereinander mit zwei Frauen geschlafen, zwei anspruchsvolle Geliebte befriedigt zu haben. Und weil Alina seine Vehemenz sichtlich mehr genießt als sonst und sich freut über seine Ausdauer, hat er auch nicht das Empfinden, dass er ihr Vertrauen missbraucht. Betrachtet durch das Prisma seiner Heimlichkeit, wird sie wieder schöner für ihn, vor Unschuld edel, und keine Sekunde lang stellt er den leisesten Vergleich zwischen den beiden Frauen an.
Die heimlichen Treffen mit der Anderen sind seltenspontan; meistens werden sie länger geplant, per SMS oder knappen Mitteilungen auf der Mailbox, wobei in der Regel Charlotte den Abend bestimmt. Schlägt er einmal einen vor, kann er sicher sein, dass sie keine Zeit hat oder nur auf Widerruf zusagt; oft kommt noch etwas dazwischen, angeblich die Arbeit. Rückt der Zeitpunkt dann näher, überlegt
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