Feuer der Götter: Roman (German Edition)
Royia säuerlich. Es hatte ohnehin keinen Zweck, sich das Tonfläschchen gewaltsam zu beschaffen – der Tisch des Händlers war übersät von ihnen, und sie sahen alle gleich aus.
Er ging weiter. Xocehe hatte ihm erklärt, dass das Einatmen oder Schlucken des Öls die Feuerzeichnung verblassen lassen konnte. Er hatte vorgehabt, das geraubte Messer gegen ein Fläschchen einzutauschen, aber es war schlecht verarbeitet und schartig. Waldmensch oder Feuerdämon hin oder her – niemals würde der Händler sich darauf einlassen. Eine andere Möglichkeit wäre, sich in den Zustand völliger Erschöpfung zu bringen. Auch das ließ die Zeichnung verbleichen. Aber wie sollte er …
Jemand stieß ihn im Vorbeigehen an. Er hob den Kopf und erblickte den gebeugten Rücken eines Waldmenschen.
Ihr Götter.
Gewiss täuschte er sich. Royia brauchte einen Augenblick, seine Verwirrung abzuwerfen. Dann setzte er dem Mann nach. Hier war das Gedränge so dicht, dass er ihn sofort aus den Augen verlor. Doch plötzlich tauchte er vor ihm wieder auf. Royia packte ihn am Arm.
»Zu welchem Stamm gehörst du?«, fragte Royia rauh.
»Bitte. Ich – ich bin nur ein Sklave. Lass mich gehen, sonst wird mein Herr wütend.«
»Wer ist dein Herr?«
»Lass mich! Bitte!«
Der Mann war schmächtig, das Gesicht glatt und das Alter schwer zu schätzen. Um Hals und Oberarme trug er kleine Kettchen aus bemalten Aststückchen. Doch auch in seiner Unterwürfigkeit hätte er ein Bruder jenes Fremden sein können, der Royia das heikle Schriftzeichenholz gegeben hatte. Für einen langen Augenblick überlegte Royia, ob er es nicht selbst war. Aber – nein.
»Gibt es dort, wo du wohnst, noch mehr von deiner Sorte?«
»Natürlich, mein Herr hat viele Sklaven.« Der Mann stand starr und blickte zu Boden; er machte keine Anstalten, sich loszureißen.
»Wer ist dein Herr?«, wiederholte Royia.
»Qu Yioscalo. Er lebt im Sonnenviertel nordöstlich der Stadt. Bitte lass mich gehen; ich darf nicht trödeln.«
Royias Finger lockerten sich; der Waldmensch hastete weiter. Yioscalo – diesen Namen hatte er mehrmals auf der Straße gehört. Wenn er es richtig verstanden hatte, beherrschte diese Familie die Stadt. Endlich ein Ziel, dachte er, schwer ausatmend. Nur, wenn ein Ölhändler ihm schon eine so harsche Abfuhr erteilte, konnte er nicht erwarten, dass man ihn dort mit offenen Armen empfing. Er konnte es drehen und wenden, wie er wollte; er brauchte zuerst das Öl. Er brauchte Ringgeld. Varuta, vielleicht sollte ich einfach die weggeworfenen Ringe aus deinem Brunnen fischen? Er könnte sie seine Schwester nennen, so wie Muhuatl ihn einen Bruder genannt hatte. Die Erwählte, die irgendwann durch den Jadegang getreten war, um Varuta zu werden. Die vielleicht die gleiche Botschaft empfangen, aber nicht auf sie gehört hatte. Und jene als Varuta Erwählte davor, und jene davor … Wenn er das Geld nähme, um das Rätsel zu lösen, täte er es auch in ihrem Interesse.
Aber gab es nicht auch einen Brunnen für Tique?
Natürlich.
Der Morgen brach an und mit ihm das Lärmen der Flussvögel. Royia lief am Rande der Böschung entlang, bis er zurück bei dem Inselchen war. Er kämpfte sich durch das Schilf, watete mit zusammengebissenen Zähnen durch hüfthohes Wasser, weil es ihm ähnlich unangenehm war, wie über den weichen Boden des Unterwalds zu laufen. Auf dem höchsten Punkt der flachen Insel erhob sich die gedrungene Statue jenes ersten Tique, wie er wohl tatsächlich ausgesehen hatte. Sie stand über einer Quelle, und hier hatte er gesehen, wie Naave etwas Glänzendes hineingeworfen hatte. Kaum mehr als zehn Tage lag das nun zurück … Sie war Tique zugetan wie jene Frau am Brunnen der Varuta. Vielleicht fanden sich hier ein paar Geldringe, die hoffentlich für ein Fläschchen des goldenen Sonnenpalmöls ausreichten. Oder eine Handvoll Nüsse. Wenn nicht, musste er tatsächlich Varuta bestehlen; um des damit verbundenen Aufruhrs willen jedoch hoffte er, dass er nicht darauf würde zurückgreifen müssen.
Er kniete neben der Statue und tauchte den Arm ins Wasser. Seine Finger bohrten sich in einen Klumpen voller kupferner Ringe. Erstaunt holte er heraus, was er greifen konnte. Seit wann hatte er so viel Glück? Naave musste einige Jahre gebraucht haben, um diese üppige Handvoll Kupferringe, einige sogar silbern, zusammenzutragen.
Sie wird mir dafür die Augen auskratzen.
Aber er nahm ja nur, was sie ihm gegeben hatte. Schließlich war er
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