Feuer der Götter: Roman (German Edition)
Royia in ihrem Zimmer verbracht, wo sie einfach gemeinsam auf das Bett gefallen waren. Noch bevor sich die Decken unter ihrem Gewicht zusammengedrückt hatten, war Naave eingeschlafen. Schwer und traumlos und viel zu kurz war ihr Schlaf. In den frühen Nachmittagsstunden hatten sie sich wieder erhoben und sich darangemacht, die Chronik zu durchforsten. Niemand hatte sie gehindert. Es war, als sei den Priestern und Tempelwächtern der führende Kopf abhandengekommen, wie es ja auch der Fall war.
Naave gähnte. Mit der Müdigkeit kehrten die schrecklichen Bilder zurück. Der schreiende Mob, der brennende Muhuatl.
Der stürzende Vater …
Sie wusste, dass er nicht überlebt hatte. Er war nicht jung und stark gewesen wie Royia, und das Axotkostüm musste ihn wie einen Stein in die Tiefe gezogen haben. Als sie von der Brücke gefallen war, hatte er ähnlich empfunden? An seine Gestalt, sich schattenhaft gegen den blauen Himmel abzeichnend, an seinen erschrockenen Blick, ja, daran konnte sie sich gut erinnern. Doch an seinen Sturz kaum. Und wenn sie in sich lauschte, empfand sie nur Mattigkeit und Leere. Keine Trauer. Vielleicht kam das noch. Vielleicht auch nicht – er war für sie schließlich nie ein Vater gewesen. Es tut mir leid, Vater, dachte sie und wischte eine Träne aus dem Augenwinkel. Oh, das fühlte sich doch ein wenig traurig an, und irgendwie war sie froh darüber.
Sie gähnte noch einmal und reckte sich. Es war Zeit, weiterzumachen. Doch Iine hatte sich auf dem Boden zusammengerollt und die Augen geschlossen. Royia stand noch immer am Fenster, in seine eigenen Gedanken und Welten versunken.
Leise blätterte Naave weiter. Das Buch gehörte zur Chronik der Pitataqus, und hier fand sie die von Tlepau Aq erwähnten Rezepte für die verschiedensten Nussöltränke. Ach, hatte das Wühlen überhaupt einen Sinn? Sie schob es auf den durchgearbeiteten Stapel und öffnete die Truhe mit den ältesten Teilen der Chronik. Der Geruch uralten Staubes schlug ihr entgegen. Vorsichtig hob sie eine in ein Tuch geschlagene Rolle hoch, nahm das fleckige Leinen ab und versuchte sie auszubreiten. Sofort brach das Papier. Naave wischte Staub und Krümel herunter.
»Und?«, fragte Royia, der sich bei dem Geräusch umgewandt hatte.
»Das ist alles verblasst. Und voller Zeichen, die ich nicht kenne. Und es riecht ziemlich übel.«
Trotzdem steckte sie die Nase in den Text, fast ohne Hoffnung, hier etwas zu finden. Doch recht bald stieß sie auf ein Wort, das sie von Royia kannte.
»Toxinac …«
»Was steht da?«
»Moment. Ich … dem Toxinacen … Gastfreundschaft? Ja, Gastfreundschaft. Es war mir … nein, es kam mir seltsam vor, einen Waldmenschen … hier … Ich fürchte, das war es schon. Der Rest ist völlig verblasst.«
»Nun, das beweist immerhin, dass es eine Verbindung zwischen den Priesterschaften des Waldes und der Stadt gibt. Oder gab. In diesen Büchern wird nichts zu finden sein. Dein Vater bekam sein Wissen von seinem Vater, und irgendwann gelangte es von den Toxinacen hierher.«
Die Tür flog auf. Sofort war Naave auf den Beinen. Die Priesterin des siebten Mondes rauschte herein. Ihr kühler Blick schweifte durch den Raum, streifte Royia und die sich aufrappelnde Iine und wandte sich Naave zu. Langsam neigte Zoi den Kopf mit dem weißen Mond. Das Zucken ihres Mundes verriet ihren Widerwillen.
»Du hast den Sichelmond abgelegt, Herrin?«
»Er störte beim Schlafen.«
»Du musst ihn verbrennen, heute Nacht im Angesicht des zehnten Mondes. Das macht man so, wenn die Novizenschaft endet. Morgen früh wirst du zur Priesterin geweiht. Und am Mittag zur Hohen Priesterin.«
Zoi verzog auf ihre unnachahmliche Art die Lippen. »Es geht ein wenig schnell bei dir.«
Ja, viel zu schnell. Naave fragte sich, ob je in ihrem Kopf ankommen würde, dass sie nun Hohe Priesterin war. Und wann das geschehen würde.
»Aber wir sind nun einmal in dieser misslichen Lage und müssen sie meistern«, fuhr Zoi betont geschäftig fort. »Du wirst dir also danach Gedanken darum machen, wer dein Nachfolger wird. Das Amt wird ja nicht verliehen, sondern vererbt, wie du weißt. Diese Frage ist bald zu klären. Nicht dass es wieder solche Probleme damit gibt, wie Tlepau Aq sie hatte … Und es wäre wünschenswert, dass der nächste Aq ein Sohn ist.«
Alle allmächtigen Götter! Naave schwindelte. Das war nun wirklich viel zu viel für sie.
»Danach zeige ich dir die hohepriesterlichen Gemächer. Und richte dich darauf
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