Feuer der Götter: Roman (German Edition)
erspürte sie Glut. Er schien innerlich zu brennen. Lichtpunkte erschienen an den Narben, überall, an jeder einzelnen. Sie zeichneten die Muster nach, erfüllten all die Linien, Kreise und Spiralen mit feurigem Licht. Naave keuchte auf, zugleich gebannt und entsetzt. Royia öffnete den Mund zu einem lustvollen Stöhnen. Tief in seiner Kehle glühte es.
Er hob die Lider.
Naave schrie.
Aber sie würde nicht fliehen; sie hätte es auch nicht gekonnt. Sie warf die Arme um ihn, um ihm zu zeigen, dass sie ihn nicht fürchtete. Sondern genoss.
IV. Durch den Berg
21.
Z oi trat vor Naave, neigte den Kopf vor ihr und richtete sich wieder auf. »Alles ist anders geworden«, sagte sie, und ihre Stimme hallte von den Wänden des Innenhofs wider. Naave stand unter dem Jadetor, gekleidet in ein frisches weißes Gewand, eng anliegend und mit ellbogenkurzen Ärmeln, wie jede Priesterin. Und wie jede trug sie einen mondförmigen Kopfputz, ihrer jedoch mit einer Korona aus schwarzen, grünen und goldenen Vogelfedern. Auf ihren Schultern lag ein schwerer Halskragen aus Gold, Silber und ebensolchen Federn. Und ihre Arme zierten so viele Schmuckbänder und Reifen, dass sie sie kaum heben konnte. Sie musste sich eingestehen, dass sie davon entzückt war. Irgendwann werde ich Tzozic einladen. Er wird an dem großen Esstisch mit zahllosen Leckereien sitzen, und dann werde ich vor ihm erscheinen und mich daran ergötzen, wie ihm die Augen aus dem Kopf fallen.
»Alles ist anders«, wiederholte Zoi so streng wie feierlich. »Wir haben hier eine Frau, die in die Priesterschaft eintrat, ohne einen Menschen zu töten, wie es jeder Novize eigentlich tun muss. Es schmerzt meine Seele, dass so ein schöner alter Brauch untergeht. Aber wir müssen wohl einsehen, dass er seinen Sinn, auf das Töten vorzubereiten, verloren hat. Denn das Fest endete ohne das Opfer, und trotzdem ging die Sonne auf.«
An die hundert Männer und Frauen hatten sich in ihren besten Priestergewändern an den Mauern aufgereiht. Zwischen ihnen standen die Tempelwächter in voller Bewaffnung. Sie alle hätten wie Statuen gewirkt, würde nicht eine sanfte Brise an ihren Kleidern und Haaren zupfen. Naave hatte das Gefühl, sich ihnen gegenüber rechtfertigen zu müssen. Es war nicht ihr Wille und schon gar nicht ihr Wunsch, hier zu stehen. Aber Iq-Iq hatte das nicht gekümmert.
Sogar Royia war anwesend. Er stand etwas abseits im Schatten eines Durchgangs. Niemand beachtete ihn – er war wie ein Fremdkörper, den man nicht fortzuschicken wagte; also schien man sich einreden zu wollen, er sei gar nicht hier. Lediglich die Tempelwächter sahen gelegentlich aus den Augenwinkeln zu ihm hinüber und umklammerten ihre Waffen noch fester, wenn er sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen verlagerte.
Zoi faltete die Hände vor dem Körper. Einen halben Kopf größer als Naave, dazu in Sandalen mit keilförmigen Absätzen, schien sie von sehr weit oben auf sie herabzublicken. Naave wartete, dass sie aus diesem sonderbaren Traum aufwachte, indem Zoi doch noch sagte, so eine wie sie könne nicht Hohe Priesterin werden. Sicherlich schilderte die Chronik den einen oder anderen Fall, in dem die Priesterschaft einen Nachfolger bestimmt hatte. Und diese Frau, so erhaben und wuchtig wie ein unüberwindlicher Felsbrocken, gäbe zweifellos eine geeignete Anwärterin ab …
»Tlepau Aq, der jetzt in der Schattenwelt weilt, hat entschieden. Du bist die Hohe Priesterin.«
Noch einmal neigte sie das Haupt; ihr Blick, mit dem sie ausdrückte, wie wenig ihr das gefiel, streifte Naave, und dann verbeugte sie sich so tief wie noch nie. Alle Priester und Wächter folgten ihrem Beispiel. So standen sie und schwiegen. Als Naave sich zu fragen begann, ob sie sich jemals wieder erheben wollten, taten sie es.
»Ehrwürdige Naave Aq, das Ritual ist beendet«, erklärte Zoi.
»Ich kann über die Tempelwächter verfügen?«
»Wie es dir beliebt.«
»Sie sollen mich durch den Wald begleiten. Royia und ich wollen heute noch aufbrechen.«
Sie wartete auf entsetzten Protest, doch Zoi hob nur eine Braue. Vielleicht dachte sie ja, dass sie selbst doch noch zum Zuge käme, sollte Naave bei diesem Wagnis umkommen.
»Wie du wünschst«, sagte die Priesterin. »Diese Neugier scheint in deiner Familie zu liegen. Soweit ich weiß, gab es nicht viele Hohe Priester, die ihr Recht, den Berg zu betreten, wahrgenommen haben. Dein Vater jedenfalls gehörte dazu.«
»Hat er darüber etwas gesagt oder
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