Feuer der Götter: Roman (German Edition)
zuvor noch nie gemacht, aber schwierig war es nicht. Die Übelkeit, die er beim Betreten des Unterwaldes empfunden hatte, wallte noch einmal auf und ließ allmählich nach. Nach einer Weile verbreiterte sich der Fluss; das Ufer trat zurück, wich ausgedehnten Schilflandschaften, aus denen langhalsige Schilfbrüter aufflatterten, mit Schnecken und frisch geschlüpften Echsen in den Schnäbeln. Mal war das Wasser träge, trüb und mit Matten grünlichen Bewuchses bedeckt, aus denen modriger Gestank stieg. Mal war es so klar, dass man silbrige Fische und anderes buntes Getier in der Tiefe sehen konnte. Eine Schlange brach durch das Wasser, blähte einen rotleuchtenden Kamm und entschied sich, vor dem Boot zu flüchten. Irgendwann lenkte Royia es in einen schmalen Seitenarm, der in den Wald führte.
»Wo sind wir hier?«, fragte Naave hinter ihm.
»Keine Ahnung. Aber es sieht nicht gefährlich aus. Ich suche eine Heilpflanze. Schlangenzunge heißt sie. Der Saft in ihren Blütenblättern sorgt dafür, dass das Blut stockt. So kann ich den Pfeil herausziehen.«
»Aus dem Munde eines Gottes klingt das ja wirklich beruhigend«, murrte sie.
»Gibt es irgendetwas, das deine lästerliche Zunge zum Verstummen bringen kann? Selbst einem Gott kann das nicht gelingen.«
Verächtlich stieß sie den schweren Atem aus. »Was für ein Gott bist … ich meine, willst du denn angeblich sein? Es gibt neben dem Gott-Einen vierzehn. Wärst du der fünfzehnte?«
Wozu sollte er antworten, da sie ihm nicht glaubte? »Ich bin Tique, der Gott des zehnten Mondes«, sagte er dennoch. Genauer gesagt, ich hätte es werden sollen, verbesserte er in Gedanken.
»Aha, du bist Tique. Ausgerechnet! Ich vergöttere Tique!« Sie japste nach Luft. Ob vor Schmerz, Empörung oder weil sie ein Lachen zu unterdrücken versuchte, konnte er nicht sagen.
»Sei endlich still«, brummte er. »Das Plappern strengt dich an.«
Die nächsten ein, zwei Stunden verbrachte er damit, die eigenen Schmerzen zu missachten, nach Gefahren Ausschau zu halten und durch eine Welt zu rudern, die ihm fremd war. War dies noch ein Seitenarm des Trennenden? Oder waren sie ganz woanders? Nach wie vor war dies der Wald, mit dicht an dicht stehenden Baumriesen, die aus dem Wasser ragten, dazwischen Farnbüschel von doppelter Manneslänge, die wirren Äste gelber Haarweiden, verschlungene Luftwurzeln, farbenprächtige Pilze, die süßlichen Gestank ausdünsteten und klebrige Fäden verschossen, und alles überwuchert von den Ranken vielerlei Schlinggewächse. Ständig musste sich Royia unter ihnen wegducken, Wurzelwerk und Wasserechsen ausweichen und gelegentlich durch kniehohes Wasser waten, um das Boot über glitschige Hindernisse zu ziehen. Dies war noch unangenehmer, als über den weichen, aber trockenen Boden zu laufen. Nur hier und da, wenn graue Basaltfelsen am Ufer aufragten, gelangte ein Sonnenstrahl auf die trübe Wasseroberfläche. Längst hatte Royia die Orientierung verloren, und um sie wiederzufinden, müsste er hinauf in den Lichtwald.
Endlich stieß er auf eine Schlangenzunge. Sogar die Rote Schlangenzunge, deren Saft besonders gut wirkte. Die Schlingpflanze umschmiegte einen Angua, der mitten im Fluss aus dem Wasser ragte. Dicht an dicht lagen die holzigen Schlingen, so dass vom Stamm des Anguas nichts mehr zu sehen war. Der Baum starb eines langsamen Todes; irgendwann würde er verschwunden sein und nur noch die Hülle des Würgers stehen bleiben. Royia schnitt einen dünneren Trieb ab und band das Kanu damit fest. Am Stamm hochlaufen konnte er nicht, denn die Schlangenzunge verhinderte den Kontakt mit dem Angua. Doch die armdicken Schlingen machten es leicht, zu den Blütenblättern hinaufzuklettern. Er musste durch eine Kolonne von Priesterameisen, deren giftige Mandibeln glänzten wie der Jadeschmuck der Toxinacen, dann hatte er einige Blüten abgeschnitten und kehrte zu Naave zurück.
Er zerrieb die länglichen, gespaltenen Blütenblätter. Scharfer Duft stieg von seinen Händen auf. Dann entfernte er den notdürftigen Verband und riss das Loch, das der Pfeil in Naaves Kleid geschlagen hatte, ein Stück auf.
Misstrauisch beobachtete sie, was er tat. Dass sie nichts sagte, war kein gutes Zeichen. Sie war noch blasser geworden. Schweißperlen standen auf ihrer Stirn. Das Blutrinnsal war stärker geworden. Er spürte die Hitze ihrer Haut, als er den Brei um den Schaft herum auftrug. Viel würde das nicht helfen.
»Es stinkt«, stöhnte sie.
»Es einzuatmen,
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