Feuer der Götter: Roman (German Edition)
Tihaunaco nichts anderes tun konnte, als wie blind herumzustolpern. Royia federte rücklings, wenn eine Larve an ihm vorbeiflog, stieg über die Geschosse hinweg oder schwang sich unter dem Stamm hindurch, um den Fuß in Tihaunacos Seite zu stoßen. Der brüllte vor Wut und schwang seinen Menschentöter so wild herum, dass dieser mit den Deckflügeln flatterte. Naave gewann eine Vorstellung davon, wie es aussähe, wenn Royia im Vollbesitz seiner Kräfte gewesen wäre. Trotz seiner Schwäche kämpfte er voller Geschmeidigkeit, ja, Anmut – ein über all die Windungen des Krüppelmanoqs tänzelndes Waldwesen, das eins schien mit dem Baum. Sogar seitwärts sprang er vor, fast quer in der Luft, eine für einen Stadtmenschen unmögliche Bewegung. Der Regen ließ ihn gelegentlich abrutschen; dann schlang er ein Bein um einen hervorstehenden Ast, während er aufs Neue auf seinen Gegner zielte. Der hatte zusehends Mühe, den Angriffen standzuhalten.
Royias Menschentöter schoss noch immer schwach. Naave nahm an, dass man absichtlich ein altes oder krankes Tier in den Käfig gesteckt hatte. Aber die messerartigen Kiefer waren scharf. Royia sprang vor und zurück, und mit jedem Ausfall hinterließen sie eine weitere rote Spur auf Tihaunacos Körper.
Das Trommeln ging im Prasseln des Regens und dem Geschrei der Zuschauer unter. »Töte ihn, töte ihn!«, brüllten sie ihrem Mann zu, und Naave befürchtete, sie könnten sich vergessen und eingreifen. Fast war Tihaunaco schon des Todes, als er in die Knie ging, die Mandibeln von Royias Waffe am Hals. Im letzten Augenblick konnte er den linken Arm hochreißen. Die Beißwerkzeuge des Insekts schnitten durch seine Finger. Sein Gebrüll hallte hundertfach von den Wänden des Wasserlochs wider. Er warf sich herum, die verstümmelte Hand unter der Achsel, suchte Schutz an der Seite des Stamms – auch er vermochte wie wohl jeder Waldmensch der Schwerkraft zu trotzen. Royia, das Gesicht vor Erregung verzerrt, setzte ihm nach und rammte die Kiefer seines Menschentöters in Tihaunacos Unterleib.
Ja!
»Nein«, knurrte Pemzic.
Irgendwo über den Baumkronen gleißte der Himmel hell auf; ein Krachen verschluckte seinen Fluch. Naave schüttelte sich den Regen aus den Augen. Als sie wieder sehen konnte, stand Tihaunaco auf dem Baum, den blutigen Fleischklumpen, der einmal seine Hand gewesen war, auf die Bauchwunde gepresst. Es sah nicht mehr menschlich aus, wie er die Zähne fletschte, vor Schmerz und Hass. Oder Angst. Er streckte den rechten Arm aus – sein Menschentöter breitete die Flügel aus, zog mit einer beinahe eleganten Bewegung den Unterleib aus der Armbeuge und erhob sich in die regennasse Luft.
Der Jäger hatte sich ergeben.
Nein – plötzlich riss er eine rote Schlinge von seinem Gürtel. Eine solche hatte die Angreifer im Wald zu Fall gebracht. Schneller, als Naave es ihm noch zugetraut hatte, wirbelte er die Schlingpflanze über seinem Kopf und ließ sie auf Royias Hals zuschnellen. Royia drehte sich seitwärts. Die Schlinge wand sich um seinen Arm. Doch bevor sie sich in sein Fleisch graben konnte, zerteilte er sie mit den Insektenkiefern. Knapp konnte er sich unter einem der Messer hinwegducken, das Tihaunaco der Schlinge folgen ließ.
Naave stieß Pemzic mit der Schulter an – wollte er wirklich dulden, dass sein Mann mit so unlauteren Mitteln kämpfte? Sie schrie in ihren Knebel, doch er beachtete sie nicht. Die Männer waren still geworden; selbst die Trommel war verstummt. Alle waren wie erstarrt. Ein zweites Messer flog; Royia wich ihm aus. Ein drittes – knirschend drang es in den Kopf seines Menschentöters. Er schüttelte das tote Insekt ab und riss den Hinterleib aus seinem Arm.
Tihaunaco sprang auf ihn zu, das letzte Messer aus seinem Gürtel ziehend.
Er stieß es vor. Royia streckte sich danach. Seine Hand umschloss die Klinge.
Sichtlich verwirrt riss Tihaunaco es zurück. Gleißende Tropfen flogen, verwandelten sich in Blut. Eine Leuchtspur zog sich über Royias Handfläche. Royia setzte seinem Gegner nach, der stolpernd zurückwich, und stieß den Arm in die Luft, als hielte er ein Lavasteinschwert. Ein Feuerstrahl schoss aus der Wunde und versengte Tihaunacos Brust.
Der Jäger heulte wie ein Tier. Ein zweiter Strahl ließ seine Haare auflodern. Er sackte in die Knie, fand keinen Halt auf dem nassglatten Stamm und warf sich nach vorne, um sich festzuklammern. Während er dennoch langsam von dem Krüppelmanoq glitt, stand er in Flammen wie
Weitere Kostenlose Bücher