Feuer der Götter: Roman (German Edition)
abgehauen, ja, das weiß ich auch. Hast deinen Teil der Belohnung ausgeschlagen. Und, was kann ich dafür? Es ist dein Problem, wenn du auf das angenehme Leben einer Priesterin verzichtest und stattdessen ehrbare Leute zu bestehlen versuchst. Was dir, den Göttern sei Dank, misslungen ist. Ich werde die Tempelwachen holen.« Er trat einen Schritt zurück und lachte höhnisch. »Ich würde ja wirklich gerne wissen, wieso man ausgerechnet dich zur Priesterin machen will. Na, wahrscheinlich hat der Hohe Priester irgendwann ein Gelübde getan, der ersten räudigen Katze, die an jenem Tag vor dem Tempel herumstreunte, etwas Gutes zu tun. Er hätte besser daran getan, sich irgendeine Bettlerin zu schnappen.«
Um nichts auf der Welt durfte geschehen, dass die Tempelwächter sie vor ihren Vater zerrten. Wer mochte wissen, was Tlepau Aq sich in der Zwischenzeit ausgedacht hatte, um sie gefügig zu machen? Diesem eigenartigen Mann traute sie einiges zu.
»Ja, hol doch die Tempelwächter!«, fauchte Naave. In ihrem Rücken spürte sie den Riegel, doch sie wagte noch nicht, sich umzuwenden und daran zu ziehen. Tzozic würde sie sofort überwältigen. »Denen werde ich dann erzählen, dass du Gold in das Essen deiner Gäste tust! Na, was sagst du dazu?«
»Das – das ist eine Lüge.« Das heisere Stocken in seinen Worten verriet ihn. Aber sogleich dröhnte seine Stimme wie gewohnt. »Als ob ich so einen Unfug wagen würde! Gold zu besitzen, ist verboten; dann wäre ich ja ein Dieb, der die Götter bestiehlt. Du aber, meine liebe Naave, bist hier die Diebin, also lenk nicht von dir ab.«
»Du bist schlimmer als ein Dieb; du bist ein gewissenloses Scheusal, schließlich hast du einen alten Mann fortgejagt!« Bei der Macht des Einen, hörte denn niemand das Geschrei und klopfte unten gegen die Tür, um Tzozic abzulenken?
»Du meinst Maqo?«
»Genau den, du Leuteschinder!«
»Das stimmt doch gar nicht, du Missgeburt von einer …«
Endlich kam jemand die Treppe heraufgeeilt. Eine piepsige Frauenstimme rief etwas, das Naave nicht verstand, doch sie klang sehr ängstlich.
»Lauf und hol einen Tempelwächter!«, brüllte Tzozic der geschlossenen Tür entgegen. »Besser zwei! Nein, drei!«
»Deinetwegen muss Maqo jetzt betteln.«
»Unsinn! Der Alte wollte nicht mit mir kommen, und da habe ich ihm gesagt, dann soll er halt betteln gehen, wenn ihm das Haus hier nicht fein genug ist.«
»Und das soll ich dir glauben?« Naave hörte, wie die Frau, vermutlich eine der Schankhuren, aus dem Haus rannte und alles zusammenschrie. Schwere Schritte stapften über das Pflaster der Gasse. Ein Tempelwächter? Wer auch immer es war, er stürmte ins Haus und ohne Umwege die Treppe hinauf. Tzozic grinste zufrieden.
»Es ist mir egal, was du glaubst, du Ungeziefer. Die Wächter sind schon da. Es war dumm von dir, in ein Haus so nah am Tempel einzubrechen. Die sind hier überall.«
Er griff nach ihr. Naave packte seine Hand, die sich um ihren Nacken legen wollte, und biss so kräftig zu, wie sie konnte. Tzozic brüllte auf. Blut ausspuckend, schlüpfte sie unter ihm hinweg und schwang sich zum Fenster hinaus. Die Zeit, zu allen Göttern zu flehen, dass sie nicht abstürzen möge, blieb ihr nicht. So schnell sie es vermochte, hangelte sie sich an den Zweigen des Klettergewächses hinab; sie fiel mehr, als dass sie hinabstieg, und ihr Körper brannte von all den Kratzern, die sie sich dabei zuzog. Vor dem Eingang hatten sich einige Leute versammelt und steckten die Köpfe durch die Tür.
»Haltet sie doch, ihr Schwachköpfe!«, schrie Tzozic; sein Zottelhaar erschien am Fenster. Alle Köpfe flogen zu ihr herum. Naave rannte.
• • •
Schon am Tage war der Graben kein ungefährlicher Ort. Doch nachts im übelsten Viertel der Stadt herumzulaufen war mehr als dumm. Ständig musste Naave den Händen gieriger Männer ausweichen, und mehr als einmal wurde ein Messer gezückt. Trotzdem fühlte sie sich halbwegs sicher – hierher kam kein Tempelwächter. Der Graben war nicht nur eine verwirrende Ansammlung baufälliger Hütten, in deren Gassen sich kein Mensch von außerhalb zurechtfand. Der eigentliche Graben, welcher dem Viertel seinen Namen gegeben hatte, lag in der Tiefe. Vor vielen Generationen hatten hier große Häuser gestanden; es war ein Viertel reicher Händler gewesen. Dann war der Große Beschützer so stark über die Ufer getreten wie noch nie. Die Wassermassen hatten an den Fundamenten gerissen; etliche Häuser waren
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