Feuer der Leidenschaft
auch den Rock und seine Krawatte abgelegt, und das oben aufgeknöpfte Hemd lud zu einem Blick auf seine breite behaarte Brust ein. Sie studierte ihn mit unverhohlenem Vergnügen. Sein muskulöser Körper und seine athletische Grazie machten ihn zu einem feinen Piraten oder Krieger. Doch der echte Kenneth war weitaus komplexer und interessanter als ein Byronscher Held. »Ich dachte, daß Ihr vielleicht Hunger haben würdet«, sagte sie laut.
Er schwang mit den schnellen Reflexen eines kampf-erprobten Soldaten zu ihr herum und lächelte dann reumütig. »Entschuldigung. Ihr habt mich erschreckt.« Er blickte zu dem Fenster hin, hinter dem sich der Nachthimmel ausbreitete. »Ich habe wohl das Dinner versäumt, wie?«
»Das ist noch milde ausgedrückt. In einer halben Stunde schlägt es Mitternacht.« Sie stellte ihr Tablett ab. »Ich schätze, daß Ihr mit Eurem Bild gut vorankommt.«
»Ihr hattet recht. Ich brauchte ein neues Verfahren für das Arbeiten mit Ölfarben, und ein Thema, das mich reizt.«
Er legte nun die Palette und den Pinsel auf dem Tischchen neben der Staffelei ab und begann in dem Raum auf- und abzumarschieren, der viel zu klein zu sein schien für diese vor Energie förmlich berstende Gestalt. »Anfangs ging es mir zwar noch recht zäh von der Hand. Aber als ich mich erst einmal in mein Thema hineingefunden hatte, erging es mir genauso, wie Ihr mir das prophezeit hattet: Ich wurde gleichsam von einem feurigen Strom mitgerissen.
So etwas Ähnliches habe ich bisher noch nie erlebt -
selbst in meinen besten Momenten als Zeichner nicht. Ich liebe diese Tiefe und Sattheit der Ölfarben, ihren Reichtum und die Effekte, die man mit ihnen zu erzielen vermag. Ich liebe dieses Vibrieren der Leinwand unter dem Pinsel, dieses klatschende Geräusch der Farben beim Auftragen.«
Rebecca warf eine Schaufel voll Kohlen auf das nie-dergebrannte Feuer. »Ich male nun schon so lange, daß ich solche Dinge für selbstverständlich halte. Doch Eure Worte erinnern mich nun wieder daran, wie sinnlich das Malen eigentlich ist.«
Er lachte übermütig. »Es ist alles das, wovon ich schon immer geträumt habe. Und ich kann heute gar nicht mehr glauben, daß ich das gewesen sein soll, der gestern noch sagte, er würde diese Technik niemals beherrschen!«
Er war wie ein Soldat nach einer harten, aber siegreich beendeten Schlacht, und sie lachte mit ihm, als seine Begeisterung sie ansteckte. Dann ging sie, von ihrer Neugierde getrieben, auf seine Staffelei zu, um zu sehen, was er denn gemalt hatte.
Da stellte er sich, als er das bemerkte, ihr rasch in den Weg und rief: »Himmel, nein, Rebecca, das dürft Ihr Euch nicht anschauen!«
»Das Privileg des Lehrers«, gab sie ihm kühn zur Antwort, ging um ihn herum und hielt mitten im Schritt inne, als sie sich der Leinwand gegenüber befand.
Das Gemälde war ein Aktbild von ihr.
Sie starrte es entgeistert an. Er hatte die Technik der verdünnten Ölfarben dazu verwendet, um in allen möglichen Grünschattierungen eine Lichtung in einem ver-wunschenen Wald zu entwerfen. Im Vordergrund war die nackte Gestalt einer Frau in voller Länge dargestellt, die sich mit einer Hand an einem Baum einhielt, während sie in der ausgestreckten anderen Hand dem Betrachter einladend einen Apfel hinhielt.
Der schlanke, nackte Körper der Figur war mit großer Liebe zum Detail ausgearbeitet. Ihre pfirsichfarbe-ne Haut schien förmlich danach zu schreien, von einem Mann berührt zu werden, und die Flut ihrer rotbraunen Haare ringelte sich wie dunkle züngelnde Flammen bis zum Waldboden hinunter. Da waren ein paar kleine, hauchzarte Haarbüschel, die auf eine neckisch ironische Art eine Konzession an das Schamgefühl darstellten und Rebecca an Botticellis Venus erinnerte, wie sie gerade als unschuldige neugeborene Göttin dem Meer entstieg.
Aber da war nichts Unschuldiges an der Vision von Kenneth. Seine nackte Lady war der Inbegriff von Sinnlichkeit. Ihre Lippen waren voll und auf eine wollüstige Weise leicht geöffnet. Und ihre mit Gold gesprenkelten haselnußbraunen Augen versprachen jedem Mann, der es wagte, ihr die verbotene Frucht aus der Hand zu nehmen, geheimnisvolle und gefährliche Wonnen. Und diese Frau war auf eine unmißverständliche Weise ihr nachgebildet.
Dann gelang es Rebecca endlich, den Blick von dem Aktbild zu lösen und auf Kenneth zu richten, dessen Gesicht so aussah, als erwartete er jeden Augenblick, daß sie schreien, in Ohnmacht sinken oder wütend über ihn
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