Feuer der Leidenschaft
Ravensbecks Reittieren stehen.
»Ich wollte Euch nicht stören«, sagte Lavinia leise.
Rebecca lächelte ein bißchen, als sie den Blumenstrauß in der Hand der anderen Frau sah. »Der Gärtner wird nicht gerade begeistert sein über unseren Besuch.«
»Wir können ihm ja sagen, daß wir hier Blumen an- J
pflanzen werden, um sein Gewächshaus zu schonen«, sagte Lavinia. Und dann nach einigem Zögern: »Ihr habt wirklich nichts dagegen, wenn ich Anthony heirate?«
»Wirklich nicht«, beruhigte Rebecca sie. »Mein Vater braucht jemanden, der sich um ihn kümmert, wenn er sich zu sehr in seine Arbeit vertieft. Ich kann es nicht, weil ich auch nicht besser bin als er.«
»Und weil Ihr ja jetzt selbst bald heiraten werdet.«
Darauf Rebecca mit versteinertem Gesicht: »Das bezweifle ich.«
Die andere Frau zog die Brauen zu einem Strich zusammen.
»Ist die Situation mit Kenneth so schlimm?« »Ja«, erwiderte Rebecca knapp. Und da sie nicht über Kenneth reden wollte, blickte sie hinaus auf das mit frischem Grün überzogene Tal.
»Es ist schon seltsam, wenn ich bedenke, daß der Familiensitz der Seatons keine zehn Meilen von hier entfernt ist und ich noch nie einen Fuß in dieses Haus gesetzt habe.
Ich lernte Lady Bowden erst in diesem Frühjahr kennen.
Trotz unserer Familienfehde hat sie mich sehr freundlich behandelt.«
»Ich habe Margaret noch nie anders erlebt. An dieser Fehde ist nur Bowden schuld. Ich glaube, Anthony wäre froh, wenn er sie beenden könnte.« »Ihr kennt Lord Bowden?«
»Ein bißchen. Er verachtet mich.« Sie lächelte schwach. »Er wird seinen Bruder in Grund und Boden verdammen, wenn er erfährt, daß Anthony mich heiratet.«
»Wie dumm von ihm«, sagte Rebecca und verabschiedete sich dann mit einem kurzen Nicken von Lavinia, um ihr ebenfalls die Gelegenheit zu einem ungestörten Besuch von Helens Grabstelle zu geben. Auf ihr Pony steigend, ritt Rebecca dann nach Ravensbeck zurück. Sie hatte ihre erste Pilgerreise beendet. Morgen würde sie die zweite, etwas schwierigere unternehmen - zu der Steilwand, an deren Fuß ihre Mutter den Tod gefunden hatte.
Im Vergleich zu einer Fahrt in den schwarz und kastanienrot angestrichenen Kutschen der Royal Mail war die Prügelstrafe bei der Armee geradezu ein Honiglek-ken.
Lediglich dafür gebaut, Postsäcke so rasch wie möglich von einem Ort zum anderen zu bringen, hatte man auf das Wohlbefinden irgendwelcher darin trans-portierter Lebewesen keinerlei Rücksicht genommen.
Passagiere wurden in so einem Gefährt zusammenge-quetscht wie Salzheringe in einer Tonne, und Fahrt-unterbrechungen zum Zwecke ihrer Verpflegung waren kurz oder fanden überhaupt nicht statt. Dennoch nahmen die mit der Royal Mail Reisenden all diese Mißhelligkeiten klaglos in Kauf, da die Postkutschen das bei weitem schnellste Transportmittel des Königreichs darstellten.
In einem Anfall von Extravaganz, den er sich dank seiner sich schlagartig verbessernden finanziellen Situation leisten zu können glaubte, hatte Kenneth gleich zwei Plätze für sich gekauft, weil sonst die einzige Möglichkeit für ihn, in einen der sechzehn Zoll breiten Postkut-schensitze hineinzupassen, darin bestanden hätte, sich der Länge nach durchschneiden zu lassen. Zudem lohnte sich auch diese Extraausgabe, weil er mit der Postkutsche Kendal, die Ravensbeck zunächst gelegene Stadt, in lediglich zwei Tagen erreichen würde - also nur anderthalb Tage später als die Seatons.
Im Verlauf dieser strapaziösen Fahrt sagte er sich immer wieder, daß er vermutlich irgendwelchen Schimären nachjagen würde. Es gab keinen Grund für ihn, anzunehmen, daß Frazier in den Seenbezirk gereist war, um dort noch mehr Unheil anzurichten. Bisher waren seine Kampagnen, die er gegen Sir Anthony unternommen hatte, stets über größere Zeiträume verteilt gewesen.
Doch die Amateurbombe, mit der Frazier Sir Antho-nys Haus hatte niederbrennen wollen, schien einer Kriegserklärung gleichzukommen. Das Risiko, daß Rebecca in das Kreuzfeuer zweier Komandanten geraten könne, war ihm zu groß.
Je weiter er nach Norden kam, um so größer wurde seine Angst. Im ersten Gasthof von Kendal nützte er dann seinen Titel und sein militärisches Gehabe schamlos dazu aus, sich das Pferd des Wirts auszuleihen. Es war ein kräftiges Tier, das Kenneth und dessen bescheidenes Gepäck mühelos bis an sein Reiseziel tragen würde. Er sattelte es sofort und war keine zehn Minuten, nachdem er in Kendal angelangt war, schon auf dem
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