Feuer der Leidenschaft
geben können, erkannte man doch sofort, daß sie einen Mann darstellte, der in diesem Moment von einer tödlichen Kugel getroffen wurde. Man sah den Schock und den Tod, die diesen Mann überwältigten - einen Moment ewigen Schweigens inmitten des Schlachtenlärms und des schrecklichen Getümmels der Hölle. Es war ein ergreifendes Bild von einer profunden, sie bis ins Mark erschütternden Gewalt.
Sie ließ sich mit untergeschlagenen Beinen auf den Boden nieder, nahm sich nun auch die anderen Blätter der Mappe vor. Mit Kohlestift und Pastellkreide angefertigte Porträts, topographisch exakt wiedergebene Gebäude und eine Handvoll wunderschöner Landschaftsaquarelle. Obwohl keine dieser Zeichnungen auch nur annähernd mit der Wucht und Dramatik des ersten Bildes zu vergleichen war, zeugten sie dennoch alle von einer großen Kunstfertigkeit.
Die letzte Skizze stellte ein Paar dar, das sich fast verzweifelt aneinanderklammerte. Sie war mit >Romeo und Julia< betitelt, und obwohl die beiden Figuren auch mittelalterliche Kostüme trugen, hatte sie doch den Eindruck, daß diese starke Emotionalität, die aus diesem Bild sprach, diese Rührung und der Schmerz auf den Gesichtern der beiden Figuren ein reales Liebespaar darstellte, das vielleicht der Krieg dazu gezwungen hatte, sich zu trennen.
Sie studierte gerade dieses Bild, als sich die Tür hinter ihr öffnete, und Kenneth auf der Schwelle stand. Er hielt mitten in der Bewegung inne, als er sie im Zimmer auf dem Boden sitzen sah, und sein Gesicht nahm einen geradezu bedrohlichen Ausdruck an. Dann trat er ins Zimmer hinein, warf die Tür hinter sich zu, und sein sonst so stilles, ja, fast ehrerbietiges Verhalten ihr gegenüber verwandelte sich in einem Gewittersturm vergleichbaren Zorn: »Was, zum Teufel, macht Ihr hier?«
Den Impuls, sich zu ducken, unterdrückend, legte sie die Hand auf die Mappe in ihrem Schoß. »Habt Ihr diese Bilder angefertigt?«
Er beugte sich jetzt zu ihr hinunter und entriß ihr die Mappe. »Ihr hattet kein Recht dazu, in meinen Sachen herumzuspionieren!«
»Ich habe nicht spioniert«, protestierte sie. »Ich bin nur zufällig mit dem Fuß gegen diese Mappe gestoßen, die hier am Schrank lehnte, als ich andere Bilder in Eurem Zimmer aufhängen wollte.« Sich darüber wundernd, daß er so erregt war, fragte sie abermals: »Habt Ihr das alles gezeichnet?«
Er schwieg einen Moment, als überlegte er, ob er sie belügen sollte, und nickte dann widerstrebend.
Da sie sich dort unten auf dem Teppich im Schneidersitz ihm hoffnungslos unterlegen fühlte, sprang sie jetzt rasch vom Boden auf. Unglücklicherweise überragte er sie jetzt immer noch wie ein Turm. Mit diesem wütenden Gesicht war er ein furchterregender Anblick, und sie empfand in diesem Moment Mitleid mit allen Franzosen, die das Pech gehabt hatten, ihm auf dem Schlachtfeld zu begegnen.
Doch ihre Neugier war stärker als ihre Angst vor seiner Wut, und deshalb sagte sie nun fast vorwurfsvoll:
»Warum habt Ihr die Tatsache vor mir geheimgehalten, daß Ihr ein Künstler seid?«
»Ich bin kein Künstler«, schnaubte er.
»Natürlich seid Ihr ein Künstler«, gab sie ebenso heftig zurück. »Niemand vermag so gut zu zeichnen, wenn er es nicht viele Jahre lang geübt hat. Warum ist Euer Werk ein so großes Geheimnis? Und warum benehmt Ihr Euch wie ein wütender Stier?«
Er holte tief Luft. »Entschuldigung. Daß ich zeichne, ist gar kein so großes Geheimnis, aber ich bin nur ein Dilettant. Es wäre eine Anmaßung, Euch oder Eurem Vater gegenüber meine Skizzen zu erwähnen.«
»Unsinn«, sagte sie grob. »Ihr seid ein großes Talent.
Kein Wunder, daß es Euch gelungen ist, Vater mit Eurem Verständnis für seine Malerei zu beeindrucken.« Sie lächelte ein wenig. »Ich bin mein Leben lang von Künstlern umgeben gewesen, und von allen, die ich bisher gekannt habe, seid Ihr der einzige, der sein Licht unter den Scheffel stellen wollte.«
Mit einer nun fast verzweifelten Stimme rief er heftig:
»Ich bin kein Künstler!«
Betroffen von seiner Heftigkeit, mit der er sich gegen etwas wehrte, was doch so offenkundig war, legte sie ihm die Hände auf die Schultern und zwang ihn dazu, sich auf sein Bett zu setzen. Sie sah ihm dann in die Augen, ihre Hände waren leicht auf seine Schultern gelegt. Sie fragte:
»Was ist denn so verkehrt daran, Kenneth? Ihr benehmt Euch sehr sonderbar, muß ich schon sagen.«
Die Muskeln an seinen Schultern strafften sich unter ihren Händen, und er
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