Feuer der Nacht
wirklich ihre Privatsphäre wahren wollte, musste sie sich erneut durch die Menge kämpfen und dann in die schwüle Nacht hinaustreten. Doch selbst dort war sie nicht ganz allein, es standen nämlich mehrere Raucher herum, die glühenden Zigaretten bewegten sich hin und her wie Glühwürmchen. Sie warf ihnen einen frustrierten Blick zu, den diese natürlich nicht sehen konnten, und ging ein paar Meter in die entgegengesetzte Richtung davon. Erst als ihre Gespräche verschwammen, war sie sich sicher, dass sich auch für sie ihr Telefonat nur noch undeutlich anhören würde.
»Okay«, sagte sie schließlich. »Ich bin jetzt allein. Ist das dein Ernst? Sie haben dich zu dieser Sache vernommen? Ja sind die Bullen von Hopewell denn totale Vollidioten?«
»Ich war offensichtlich die Letzte, die sie lebendig gesehen hat«, erwiderte Jaclyn düster.
»Nein, das stimmt doch nicht – das war die Person, die sie umgebracht hat!«
»Okay, dann eben die Letzte, die sie ihres Wissens gesehen hat. Dazu kommt noch die Tatsache, dass sie mich geschlagen und dann gefeuert hat, und schon ist ein Tatmotiv vorhanden.«
»In Anbetracht ihres Wesens hatte wohl halb Atlanta und Umgebung ein Motiv«, erwiderte Madelyn heftig. »Davon abgesehen hast du dich mit mir im Claire getroffen, nachdem du den Empfangssaal verlassen hattest. Ich bin dein Alibi.«
»Offensichtlich ist es im realen Leben nicht so einfach, den exakten Todeszeitpunkt zu bestimmen, wie in einem Fernsehfilm. Ach … Und es kommt noch schlimmer. Ich habe heute Nachmittag meinen Aktenkoffer vergessen, ich habe ihn im Empfangssaal stehen lassen. Sie haben ihn dort gefunden. Ich hätte sie also entweder vor oder nach dem Treffen mit dir umbringen können.«
»Aber das hast du nicht.«
»Nein, natürlich nicht. Ich mache mir ja eigentlich auch keine Sorgen«, erklärte Jaclyn, obwohl Madelyn den besorgten Unterton in ihrer Stimme deutlich vernehmen konnte, der ihr das Gegenteil verriet. »Ich habe es nicht getan, und somit kann es auch keine Beweise geben, die dafür sprechen. Aber es ist, wie ich gesagt habe: Ich bin die Hauptverdächtige.« Sie schluckte hörbar. »Sie haben meine Kleidung mitgenommen.«
»Deine Kleidung?«, fragte Madelyn. Sie stellte sich vor, wie Jaclyn jetzt nackt in ihrem Stadtdomizil stand, ohne etwas anzuziehen.
»Die Kleidung, die ich heute anhatte: Ich habe sie gewaschen, das macht sich auch nicht gut. Sie haben den gesamten Inhalt der Waschmaschine beschlagnahmt.«
Wenigstens hatten sie nicht alle ihre Klamotten mitgenommen. Die Vorgehensweise kam ihr dennoch unhöflich und erniedrigend vor, und sie wusste, dass ihre Tochter sie jetzt brauchte. »Ich will versuchen, ob sich die Angelegenheit hier etwas beschleunigen lässt, damit das glückliche Paar endlich für immer und ewig verbunden ist«, sagte sie. »Dann bin ich wie der Blitz da. Mach dir keine Gedanken, mein Herz. Ich werde dafür sorgen, dass alles ins Lot kommt.«
Jaclyn legte auf. Allein schon mit ihrer Muter zu telefonieren war ihr ein Trost. Madelyns Empörung bewirkte, dass sie sich besser fühlte – morgen würde alles gut werden. Die Polizei würde den richtigen Mörder von Carrie finden, und der heutige Abend wäre dann nur noch ein schaler Nachgeschmack im Mund.
Der irrationale Gedanke, ihren Dad anzurufen, blitzte auf. Wenn einer Tricks kannte, wie man mit der Polizei umging, dann ja wohl Jacky.
Mit der Welt stimmte wirklich etwas nicht, wenn sie daran dachte, ihren Dad um Hilfe zu bitten. Er würde sie vermutlich noch vor Morgengrauen nach Mexiko verfrachten. Es war schließlich Jackys Markenzeichen, bei Ärger auf und davon zu rennen.
Nein, sie würde hier ausharren, mit der Polizei zusammenarbeiten, egal wobei. Madelyn würde mit ihr durch dick und dünn gehen, und alle anderen, die sich heute im Empfangssaal aufgehalten hatten, würden ihre Aussage bestätigen. Und wenn diese Sache durchgestanden war und Eric Wilder es wagte, sie einzuladen, als sei nichts geschehen, dann würde sie ihrem Impuls widerstehen, ihn einen miesen, verschlagenen, ekelhaften Mistkerl zu nennen – schließlich tat er ja nur seine Arbeit. Sie würde einfach sagen, dass sie nicht zueinanderpassten. Wenn sie den rechten Weg beschritt, würde sie sich besser fühlen.
Sie brach in Tränen aus.
So viel zum Thema sich-besser-Fühlen.
12
Eric war so müde, dass er spürte, wie ihm schier der Hintern übers Pflaster schleifte, als er ins Polizeipräsidium trottete. Es war nicht nur ein
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