Feuer der Nacht
vermeiden.
Die Dame vom Catering, die in Atlanta und Umgebung bei so vielen Hochzeiten mitarbeitete, dass sie und Madelyn schon gute Bekannte waren, folgte Madelyn und packte sie am Arm. Madelyn machte einen Satz – überrascht von der Berührung wie auch von der Person. Shirley verließ bei einem Event eigentlich nie die Küche, es musste also eine kulinarische Katastrophe passiert sein.
Shirley ließ eine besorgte Miene sehen. »Lebt Ihre Tochter in Hopewell?«
Madelyns Herz hämmerte, als sie mit Ja antwortete, sämtliche Mutterinstinkte in Alarmbereitschaft. Es war offensichtlich, dass da etwas nicht stimmte. Shirley hatte rote Wangen, ihre Augen glänzten. »Warum?«
»Im Empfangssaal von Hopewell ist ein Mord geschehen«, sagte sie und dämpfte ihre Stimme zu einem Flüstern. »Sie wissen schon, in dem großen.«
Madelyn wurde kalt. Sie konnte kaum ein Wort herausbringen: »Wer?« Sie und Shirley gingen in Richtung Wand, weg von dem Paar am nächsten weiß gedeckten Tisch. Was für ein Event fand heute im großen Empfangssaal statt? Ihr Gehirn hechelte die Möglichkeiten durch: Melissa, die Managerin? Jemand von den Selbstständigen? Womöglich jemand, den sie gut kannte? Das Opfer konnte in ihrer relativ kleinen Welt jeder sein. Sie sprach ein stilles Dankgebet, dass Jaclyn keinen Termin dort hatte und gesagt hatte, sie wolle schnurstracks nach Hause. Dort müsste sie jetzt sein und ihr geliebtes HG - TV schauen. In Sicherheit.
»Ich weiß nicht« sagte Shirley. »Aber ich habe gehört, dass der Parkplatz vor Krankenwagen schier überquellen soll und dass jemand tot ist.«
Dass ihre Tochter fast mit einem Mord konfrontiert worden wäre, jagte ihr einen Schauder über den Rücken, und sie verspürte plötzlich das Bedürfnis, Jaclyns Stimme zu hören. Außerdem könnte Jaclyn ja auch etwas erfahren haben und mehr Einzelheiten wissen als Shirley.
Madelyn ließ ihren Blick rasch durch den Raum schweifen, vergewisserte sich, dass sich auch keine Krise zusammenbraute, und ging dann rasch in die Damentoilette davon. Unterwegs öffnete sie ihre kleine, mit Rheinkieseln verzierte Abendtasche und griff nach dem Handy. Sie hatte während der Hochzeit und des Empfangs den Klingelton stumm geschaltet und sah beim Aufklappen des Geräts, dass sie fünf Anrufe verpasst hatte.
Keiner war von Jaclyn, und entgegen aller Logik fing ihr Herz an zu hämmern wegen der entfernten Möglichkeit, dass ihre Tochter das Opfer sein könnte. Sie trat in die Damentoilette und begann zu wählen.
Jaclyn ging beim ersten Läuten dran, als hätte sie auf den Anruf gewartet. »Hallo.«
Madelyn bekam weiche Knie, als sie Jaclyns Stimme hörte; sie klang irgendwie dünn und angespannt. »Shirley hat mir gerade gesagt …«
»Mom! Hast du gehört, dass …«
Sie redeten gleichzeitig, hörten beide gleichzeitig auf. Dann stieß Jaclyn den Atem aus und sagte: »Du hast gehört, was im Empfangssaal passiert ist?«
»Shirley hat mir erzählt, was sie erfahren hatte, aber viel war das nicht. Was weißt du?«
»Es war Carrie.«
Madelyn blinzelte, als sie gedanklich die zig Möglichkeiten durchhechelte. »Sie hat jemanden umgebracht? Das wundert mich nicht, diese psychopathische Schlampe. Gott hab sie selig.«
»Nein, sie hat niemanden umgebracht. Jemand hat sie umgebracht!«
Madelyn blinzelte erneut, versuchte, die Nachricht zu verarbeiten und etwas Sinnvolles hinzuzufügen. Heraus kam jedoch nur: »Wundern tut mich das trotzdem nicht. Dann war sie eben eine psychopathische Schlampe.«
Jaclyn hielt inne, wartete. Als die übliche Redewendung nicht kam, sagte sie: »Du hast nicht gesagt: ›Gott hab sie selig.‹«
»Gott wüsste, dass es mir nicht ernst damit ist. Da bin ich lieber unbarmherzig als eine Lügnerin. Vielleicht. Nun denn. Ich würde wohl doch eher lügen. Gott hab sie selig.«
Jaclyn stieß einen kurzen Laut aus, der halb ein Lachen, halb ein Schluckauf war, und sagte dann atemlos: »Die Polizei war da und hat mir Fragen gestellt. Sie wissen, dass Carrie mich geschlagen hat. Sie glauben, dass ich es getan habe.«
Ein neuer Horror packte Madelyn. »Was?« Das Wort kam fast wie ein Quieksen, und etwas spät sah sie sich um, ob sich sonst noch jemand in der Damentoilette aufhielt. Ja. Unter einer der Kabinentüren konnte sie ein Paar schwarze Pumps erkennen; die Trägerin war sehr still, sie pinkelte nicht oder so – nun, offensichtlich lauschte sie. »Moment«, sagte sie. »Ich gehe schnell nach draußen.«
Wenn sie
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