Feuer der Nacht
Serviermädchen vorbeikam, nippte daran und drehte eine Runde durch den Festsaal. Ein winziger Schluck, mehr gestand sie sich nicht zu, doch sie hielt weiterhin ihr Glas in der Hand, als sie Bekannte begrüßte und anmutig die Komplimente der Familie entgegennahm, die sich mit dem Ablauf der Hochzeit sehr zufrieden zeigte. Sie nahm sich Zeit, mit allen zu reden, denn das gehörte mit zu den Spielregeln. Jeder hier war ein potentieller Kunde – nun, fast jeder, denn der zweiundneunzigjährige Urgroßvater der Braut würde die Dienste von Premier wohl kaum noch in Anspruch nehmen. Jedenfalls war es wichtig, einen guten Eindruck zu hinterlassen, ohne dabei wie eine schmierige Handelsvertreterin ihre Dienste anzupreisen. Madelyn drückte niemandem ihre Visitenkarte in die Hand; wer beeindruckt war, würde sich schon an den Namen des Unternehmens erinnern, das den Event organisiert hatte; die Unbeeindruckten oder Desinteressierten würden ihre Karte eh bloß wegwerfen. Es ließ sich schwer sagen, wie viele Bäume sie bereits gerettet hatte, indem sie keine Geschäftskarten verteilte.
Manchmal ging ihr auf, welch ein Glück es doch war, dass sie und Jaclyn über diesen Job gestolpert waren, der sich für sie beide als perfekt erwies. Mit Jaclyn Premier zu eröffnen zählte sicher zu den besten Entscheidungen, die sie je getroffen hatte. Andere waren der reinste Schwachsinn gewesen – siehe Jacky. Aber Premier war ein Geniestreich gewesen. Sie war ihre eigene Chefin, und sie und Jaclyn hatten eine wunderbar enge Beziehung. Nicht jede Frau war fähig, mit ihrem eigenen Kind zusammenzuarbeiten; sie verstand das, aber bei ihnen beiden klappte das nicht nur, sondern es klappte sogar vorzüglich. Peach und Diedra ergänzten das Gespann, als die beiden Frauen immer mehr Erfolg hatten, und gehörten jetzt irgendwie mit zur Familie. Nun, Peach hatte schon lange mit zur Familie gehört, aber die Zusammenarbeit hatte die Beziehung noch intensiviert.
Was Madelyn anging, so halfen ihr meistens die langen und oft auch hektischen Tage, sich von dem Gefühl abzulenken, dass sie eigentlich zu jung war, um den Männern abzuschwören. Meistens … aber nicht immer.
Eine Ehe glich einer Achterbahn. Es ging hinauf und hinunter, es gab Kurven und Kehren, und manchmal stand man plötzlich Kopf, sodass man sich übergeben musste. Die berufliche Beschäftigung mit Hochzeiten – dem ersten spannenden Augenblick, wenn man in das glänzende kleine Wägelchen stieg, bereit für eine amüsante Fahrt mit Schmetterlingen im Bauch – war für eine Frau, deren eigene Ehe entgleist, den Bach hinuntergegangen und ausgebrannt war, vielleicht etwas seltsam. Es gab viele Möglichkeiten, die Ehe mit Jacky Wilde zu beschreiben.
Die Jahre, die sie mit ihm verbracht hatte, waren turbulent gewesen – mit vielen Höhen und Tiefen. Wenn sie damals gewusst hätte, was sie heute wusste – hätte sie den Mistkerl trotzdem geheiratet! Er hatte ihr das Herz gebrochen, aber sie hatten auch tolle Zeiten miteinander erlebt, besonders am Anfang. Und vor allem hatte er ihr Jaclyn geschenkt.
Sie vergötterte ihre Tochter. Sie liebte sie nicht nur so sehr, weil sie ihr Kind war, sondern vor allem als Mensch. Selbst wenn sie nicht miteinander verwandt wären, dachte Madelyn, wäre Jaclyn für sie der liebste Mensch auf Erden. Sie fand den Gedanken deprimierend, dass ihre Ehe Jaclyn so vorsichtig hatte werden lassen, dass sie sich womöglich nie der beängstigenden Ekstase einer Liebesbeziehung hingeben würde. Wenig hilfreich war auch, dass Jaclyns Ehe ein so frühes Ende gefunden hatte. Und was eigentlich noch schlimmer war: Bei Jaclyns Scheidung hatte sich kein wirkliches Drama abgespielt. Die beiden waren einfach auseinandergegangen, als wäre ihnen klar geworden, dass es nichts gab, wofür zu kämpfen sich lohnte.
Und was das Beispiel anging, das Jacky mit seinen fünf Ehen abgab … Nun, je weniger Worte man darüber verlor, desto besser war es eigentlich.
Madelyn wollte, dass ihre Tochter die Liebe kennenlernte, dass sie ein Risiko einging, dass sie am Startblock in das glänzende Wägelchen einstieg, ohne zu wissen, wohin die Fahrt ging. Der Gedanke stimmte sie traurig, dass dies womöglich nie der Fall sein würde, dass Jaclyn sich nie wirklich verlieben würde. Sich zu verlieben bedeutete, ins kalte Wasser zu springen, jemandem zu vertrauen und ihm einen Stellenwert einzuräumen. Bis jetzt war Jaclyn sehr flink, wenn es darum ging, emotionale Risiken zu
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