Feuer der Rache
kühl.
„Ich denke, zu Hause. Es ist ja schon halb elf."
Die Kommissarin verabschiedete sich rasch und wählte Lorenz von Raitzens Nummer. Sie ließ es lange klingeln, aber niemand hob ab. Dann versuchte sie es auf seinem Handy, aber es schaltete sich nur die Mailbox ein. Sabine fluchte. Sie stürmte in die Bibliothek zurück. Der aufpeitschende Rhythmus eines Tangos empfing sie.
„Ich muss in die Stadt", schrie sie gegen den dröhnenden Bass an. „Sofort!"
Die Musik verebbte. „Bei diesem miesen Wetter? Es stürmt und regnet, dass man meinen könnte, die Welt solle untergehen."
„Was kümmert mich das Wetter. Lorenz von Raitzen meldet sich weder daheim noch an seinem Handy. Ich muss hinfahren! Gib mir deine Wagenschlüssel. Wer weiß, wann der Streifenwagen bei ihm auftaucht -wenn er überhaupt kommt!", fügte sie düster hinzu. „Vielleicht ist er ja noch in seinem Büro?" Sie tippte hastig die Nummer.
„Vielleicht ist er einfach nur tot und kann deshalb nicht ans Telefon kommen?", schlug Peter von Borgo vor und begann wieder zu spielen. „Du kannst das Ende des Regens ruhig abwarten. Er wird dir nicht weglaufen."
„Hör auf!", kreischte sie. „Hör auf, so mit mir zu reden, und lass diese verdammte Klavierspielerei. Du machst mich wahnsinnig! Entweder du sagst mir die Wahrheit oder du lässt mich in Ruhe. Ich habe es satt, von allen immer nur belogen oder mit Halbwahrheiten gefüttert zu werden! Und vor allem, hör auf, mir vorzuschreiben, was ich tun soll!"
Die weißen, schlanken Finger ruhten auf den Tasten. Stille senkte sich über den Raum, bis nur noch das Prasseln des Regens und der Wind in den alten Bäumen zu hören waren.
„Du bist ja völlig hysterisch! In diesem Zustand lasse ich dich nicht mit meinem Wagen fahren." Peter von Borgo erhob sich, fasste sie am Ellbogen und zog sie in die Halle. Sabine ließ es mit sich geschehen.
Peter von Borgo half ihr dabei, in seine Lederjacke zu schlüpfen. Dennoch waren sie beide bereits durchnässt, als sie den Garagenanbau erreichten. Der Vampir hielt ihr die Wagentür auf und schlüpfte dann auf die Fahrerseite des Jaguars. Der Motor heulte auf und übertönte die Geräusche des Sturmes. Das Tor schwang zurück, und der Wagen schlitterte auf die nasse Fahrbahn hinaus. Sabine sah nur verschwommene Lichter und spürte, wie das Heck des Wagens bei jeder Kurve ausbrach, aber seltsamerweise empfand sie keine Angst. Ja, sie fühlte sich geborgen, hier neben ihm in dem nach feuchtem Leder duftenden Wagen.
„Schnell, nach Falkenried, Straßenbahnring."
Der Vampir nickte. „Ich kenne sein Appartement. Es ist neu und luxuriös mit seiner Galerie und den großen Fensterflächen, keine Frage, aber ich finde achthunderttausend Euro für ein schmales Reihenhaus ein wenig übertrieben!"
„Du kennst dich gut aus!" Die Fragen, die ihr auf der Zunge brannten, schluckte sie hinunter. Vielleicht wollte sie die Antworten gar nicht hören. Sabine sah das Schild Neumünstersche Straße. Der Kirchturm ragte düster vor ihnen in den Regenhimmel.
Lorenz von Raitzen wohnte direkt um die Ecke des alten Pfarrhauses, in dem Carmen lebte und arbeitete. War das Zufall?
Peter von Borgo bremste und steuerte den Jaguar langsam zwischen den neu errichteten Reihenhäusern hindurch. Die Reihe rechts war aus hellroten Ziegeln gebaut, deren schmucklose Wände nur durch die bodentiefen, schmalen Fenster unterbrochen wurden, jedes mit einem schlichten französischen Balkongitter versehen. Die Häuser zur Linken waren weiß mit großen, dunkel gerahmten Glasscheiben und zurückversetzten Dachterrassen. Ein Stück weiter prasselte der Regen auf einen Zementmischer, einen Haufen Baumaterial und einen rostigen Müllcontainer. Offensichtlich war die hintere Häuserreihe noch nicht bezugsfertig. Der Vampir parkte den Jaguar hinter einem mannsgroßen metallenen Kübel mit einem Kugelbäumchen.
„Möchtest du in die Wohnung?"
„Ja, natürlich!" Sabine hetzte in den Regen hinaus und lief an dem riesigen Werbeschild „Townhouses Falkenried" vorbei. Sie war völlig durchweicht, als sie die Haustür erreichte. Sie drückte auf den Klingelknopf und hörte die Glocke innen läuten. Wenn er da war, würde er es hören.
Selbst wenn er schlief, musste ihn der schrille Dauerton alarmieren.
„Er ist nicht im Haus", sagte Peter von Borgo, der, die Hände in den Hosentaschen, heranschlenderte. Der Regen, der ihm von seinem langen, schwarzen Haar in den Kragen rann, schien ihn nicht zu
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