Feuer der Rache
ihn nicht getäuscht. Der Tote war ein Mann um die dreißig Jahre -und es war Blut geflossen. Peter von Borgo trat zu der schwarzen Ledercouch, auf der der Mann gesessen hatte. Er war mit dem Oberkörper auf die Seite gekippt, die Füße noch auf dem Perserteppich. Der Vampir konnte das Einschussloch oberhalb der Schläfe sehen. Auf der anderen Seite hatte das Geschoss wohl ein Stück des Schädels aufgerissen. Ehe der Mann zur Seite gesunken war, waren Blut und Hirnmasse über das Polster gespritzt. Es war nicht viel davon zu sehen, dafür aber deutlich zu riechen.
Peter von Borgo fuhr leicht mit den Fingerspitzen über den Hals des Mannes und über die Ränder des Einschussloches. Er konnte nicht länger als eine Stunde tot sein! Seine Haut fühlte sich zwar kühl an, aber sein Blut hatte sich kaum um ein Grad abgekühlt. Er hob den Kopf an und beschnüffelte die Wunde, die das austretende Projektil geschlagen hatte.
Nein, lange hatte er nicht mehr zu leben gehabt, nachdem das Metall durch sein Gehirn gedrungen war. Konnte er sich selbst getötet haben, oder war er ermordet worden? Peter von Borgo sah sich nach der Waffe um, konnte sie jedoch nicht entdecken. Zur Sicherheit roch er an den Fingerkuppen des Toten. Diese Hände hatten in den letzten Stunden keine Waffe abgeschossen. Also Mord!
Das Interesse des Vampirs war geweckt. Die Abgründe der menschlichen Seele stellten ein interessantes Studienobjekt dar. Sie lenkten ihn von seiner Langeweile ab und würden nun helfen, seine Gedanken wenigstens für kurze Zeit von Sabine zu lösen.
Peter von Borgo trat an den Glastisch vor der Couch und betrachtete die bauchige Flasche mit ihrem bräunlichen Inhalt und das benutzte Glas daneben. Einige Papiere lagen auf dem Tisch, zwei Blätter waren zu Boden geflattert. Er überflog die Texte. Als er die ersten Seiten gerade wieder zurücklegte, streifte ein Hauch seine Sinne, der ihn ablenkte. Er richtete sich auf und schloss die Augen.
Ja, er konnte es riechen. Trotz der starken Präsenz der Leiche gelang es ihm, die Witterung von anderen Personen aufzunehmen, die vor nicht sehr langer Zeit in diesem Büro gewesen waren. Ob es ihm gelang, den Mörder aus dieser Komposition herauszufiltern?
Er roch an der Schreibtischplatte, an den Sitzkissen der Sessel und den Armlehnen.
Ein Geräusch auf dem Flur ließ ihn innehalten. Schritte näherten sich. Erhörte das Klirren eines Schlüsselbundes. Ohne Hast trat der Vampir an die Wand, sodass die sich öffnende Tür ihn verbergen würde, und wartete, während ein Schlüssel ins Schloss geschoben wurde.
Um ein Uhr vierundzwanzig ging in der Polizeileitzentrale der Anruf eines aufgeregten Wachmanns der Privatklinik von Everheest ein. Bereits fünfunddreißig Minuten später fuhr der Wagen von Hauptkommissar Thomas Ohlendorf von der 4. Mordbereitschaft vor. Zehn Minuten später erschien der Jüngste des Teams, Robert Gerret, und kurz darauf Uwe Mestern und Sönke Lodering und der Polizeifotograf. Er parkte hinter dem mintgrünen Golf der Ärztin, die heute in der Rechtsmedizin Bereitschaft hatte. Auch die Herren von der Spurensicherung waren bereits zur Stelle. Sie warteten, bis der Fotograf seine Nummerntafeln verteilt und ein paar Dutzend Fotos geschossen hatte. In ihre weißen Overalls gekleidet, suchten die beiden Männer das Büro systematisch nach sichtbaren Spuren ab, stäubten schwarzes Pulver auf Flasche und Glas, auf den Türgriff und die bis dahin glänzende Schreibtischoberfläche. Mit Klebestreifen nahmen sie Faserproben, während die Ärztin den Toten untersuchte und die Ergebnisse in ihr Diktiergerät sprach.
Unsichtbar in einer Ecke schwebend, beobachtete Peter von Borgo den Trubel. Vor allem die junge Ärztin gefiel ihm.
Sie war nur mittelgroß und von zierlichem Körperbau, mit schmaler Taille und kleinen, festen Brüsten. Ihre Augen waren dunkel. Das rötlich braune Haar hatte sie zu einem lockeren Knoten geschlungen. „Dr. Renate Lichtenberg" las er an einem Schild auf ihrer Brusttasche. Den Namen würde er sich merken. Vielleicht sollte er ihr in dem Eppendorfer Institut mal einen Besuch abstatten?
Zwei Stunden verstrichen. Der Vampir begann sich zu langweilen. Als der Leichenwagen eintraf und die Männer den Toten auf eine Bahre hoben, nutzte Peter von Borgo die Gelegenheit, unbemerkt zu verschwinden. Es war ihm danach, zu seiner Villa zu eilen, die großen Flügeltüren zum Garten zu öffnen und, während die Nachtluft ihn umwehte, die Finger über
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