Feuer der Rache
starrte über ihre Tasse hinweg ins Leere. Dann entspannte sich ihre Miene, und sie lächelte versonnen. „Ach ja, Iris. Ich weiß, dass das nicht richtig ist, aber sie war von Anfang an mein Liebling. Natürlich habe ich mich bemüht, es die anderen Kinder nicht merken zu lassen. Sie war so ein herzliches, sonniges Kind, immer so strahlend und offen. Ich glaube, auch sie hat mich sehr gern gemocht, obwohl sie zu allen Kindern und Lehrern freundlich war. Am meisten hing sie natürlich an Maike, ihrer Zwillingsschwester. Die beiden waren wie zwei Kletten -eine nie ohne die andere. Wobei ich denke, Iris brauchte Maike mehr als andersherum. Sie stand ein wenig in ihrem Schatten. Maike war eben die Schöne, die stets Bewunderte -und deshalb vielleicht auch immer ein wenig eingebildet und überheblich. Das angenehmere Wesen hatte Iris!"
„Maike, die Schöne?", hakte Sabine ungläubig nach.
„Oh ja, ich habe kein anmutigeres Kind gekannt. Sie wurde von allen bewundert. Selbst die Lehrer hatten einen Narren an ihr gefressen -wenn ich das so sagen darf. Ich habe ein Bild von den Zwillingen und ihren beiden Freundinnen. Möchten Sie es sehen?"
Sabine nickte. Clara Hofberger erhob sich und ging hinaus.
Es dauerte eine Weile, bis sie mit einem verblichenen Foto zurückkam, das sicher schon mehr als ein Dutzend Jahre alt war.
„Iris, Maike, Aletta und Carmen."
Die Kommissarin starrte das Foto an. „Dürfte ich es für eine Weile behalten?"
Die alte Lehrerin nickte widerstrebend. „Was glauben Sie, ist ihr zugestoßen?", fragte sie nach einer Weile leise.
„Was glauben Sie?", gab Sabine die Frage zurück. „Ist sie weggelaufen? Mit einem Freund durchgebrannt?" Die Lehrerin schüttelte den Kopf.
„Ist sie überfallen worden? Entführt? Hat sie sich das Leben genommen?"
„Ich weiß es nicht", sagte Clara Hoiberger, „aber wenn ich in mich hineinhöre, dann sagt mir eine Stimme, dass sie sich etwas angetan hat. Ich habe so eine tiefe Verzweiflung gespürt."
Sabine sah noch einmal auf das Foto hinab und betrachtete die strahlenden Kindergesichter. „Sie sind noch immer Freundinnen."
„Ja, sie waren schon immer unzertrennlich und sind nach der vierten Klasse alle ins Gymnasium Blankenese gekommen. Carmen war die Gescheiteste. Sie nannten sie immer Eule. Vermutlich auch wegen ihrer Brille." Sie hielt inne, in ihre Erinnerungen versunken, und schüttelte wieder den Kopf.
„Von allen vieren hätte ich erwartet, dass sie später einmal studieren und aufregende Jobs bekommen. Aletta wollte immer Tierärztin werden und Carmen Lehrerin -oder noch besser: Professorin!" Sie lächelte.
„Und Iris?"
„Iris war sich schon immer sicher, dass ihre Schwester einmal ein berühmter Filmstar wird, und sie wollte dann mit Maike um die Welt reisen und sie zu den Dreharbeiten und tollen Partys begleiten. Andererseits aber war es ihr wichtig, einen Mann zu finden und Kinder zu bekommen. ,Wissen Sie, Frau Hofberger', hat sie einmal ganz ernst zu mir gesagt, ,ich werde eine Kinderfrau brauchen, denn wie soll ich sonst mit Maike reisen, solange meine Kinder noch klein sind?'"
Tief in Gedanken versunken, fuhr Sabine um den Süllberg herum, um wieder auf die Eibchaussee zu gelangen. Die Männer saßen noch immer in der etwas heruntergekommenen Kneipe über ihren Tellern. Sie schienen sich bestens zu unterhalten. Die Kommissarin lehnte es ab, sich auf ein weiteres Bier zu ihnen zu setzen. Die Hände in den Jackentaschen, blieb sie neben dem Tisch stehen, bis Sönke die Rechnung beglichen hatte.
Die beiden Wagen fuhren hintereinander die kurze Strecke zur Eibhöhe und parkten am Ende der Sackgasse. Sabine musste dreimal klingeln, ehe eine Frau ihnen öffnete. „Ja, was wollen Sie?"
„Kriminalpolizei, dürfen wir hereinkommen?"
Die Frau wollte nicht einmal ihre Ausweise sehen, sondern führte sie gleich auf die andere Seite des Hauses in ein Wohnzimmer, dessen Längsseite nach Westen hin komplett verglast war und einen überwältigenden Blick über die Elbe und das Alte Land bot.
„Sind Sie Frau Reeder?" Sie nickte. Aufmerksam betrachtete Sabine die Frau mit den üppigen Formen und dem kräftig rot gefärbten Haar. Sie hatte die dreißig bestimmt noch nicht erreicht und sah sonst vermutlich sehr attraktiv aus. Heute jedoch war ihre Wimperntusche verwischt und das Make-up fleckig. Sie trug einen fließenden, cremefarbenen Overall mit breitem Silbergürtel, der ihre Figur betonte.
„Können wir bitte Ihren Mann
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