Feuer der Rache
etwas verändert haben?"
„Nein!", sagte Maike fest. „Sie sind auf dem falschen Dampfer." Sie wandte sich ab, stapfte in ihr Zimmer und warf die Tür hinter sich zu. Kurz darauf schallten die Stimmen einer Girlieband aus der Stereoanlage.
Die Kommissarin sah sich noch einmal um. Sie hätte ihre Kamera mitnehmen sollen, um Fotos zu machen, dachte sie. Noch einmal ließ sie den Blick umherwandern, bis er an einer schmalen, tapezierten Tür hängen blieb. Sie hatte noch nicht in den Einbauschrank gesehen! Der vermeintliche Schrank erwies sich als eine Abstellkammer mit Kisten voller alter Bücher und Körben mit muffig riechenden Kleidungsstücken. Deshalb war das Zimmer kleiner! Sabine klopfte gegen die dünne Wand, die offensichtlich irgendwann später eingezogen worden war. Ein Fenster führte auf das Dach des Schuppens im hinteren Hof hinaus, in dem sich, wie Sabine bereits wusste, die Fahrräder der jungen Frauen, allerlei alte Gartengeräte und die Mülleimer befanden. Sabine zog die beiden Fensterflügel auf und sah über das moosbewachsene Dach in das dichte Grün eines Ahornbaumes hinüber, der seine Zweige dem Mauerwerk entgegenreckte. In Gedanken war sie weit weg.
Was war Iris zugestoßen? Sie rief sich noch einmal die verschiedenen Aussagen der Menschen ins Gedächtnis, mit denen sie gesprochen hatte, und fragte sich, ob überhaupt jemand Iris richtig gekannt hatte. Wie sehen wir die Mensehen, die wir lieben? Zeichnen wir uns nur ein Bild unserer eigenen Wünsche und Vorstellungen?
Sie lief durch einen Wald. Es war dunkel, und sie konnte nichts sehen. Immer wieder stolperte sie über Wurzeln, Ranken schienen nach ihren Beinen zu greifen. Sie riss sich los. Sie musste schneller laufen! Ihre Brust schmerzte, in ihrer Seite stach es bei jedem Schritt, aber sie musste weiterlaufen! Sie konnte die Stimmen hinter sich hören und sah das Licht der Taschenlampen zwischen den Stämmen tanzen. Noch immer waren sie hinter ihr her. Sie glichen Spürhunden, die, wenn sie die Fährte des Wildes einmal gewittert hatten, diese nicht mehr aufgaben. Ein Heulen drang durch die Nacht. Schnelle Pfoten trommelten über den Boden. Wieder fasste eine Ranke nach ihren Knöcheln und umschlang sie so fest, dass sie stolperte. Sie versuchte zu schreien, doch kein Laut kam aus ihrem Mund. Um sie herum raschelte und knisterte es. Schleimige Tentakel krochen aus dem Unterholz und schlangen sich um ihre Beine, um die Arme und ihre Brust. Sie konnte nicht mehr atmen. Voller Entsetzen sah sie, dass aus den Enden der Tentakel Menschenhände wuchsen, die sich immer tiefer in ihre nackte Haut krallten. Und dann hörte sie wieder den Wolf heulen. Er war ganz nah. Gleich würde sie seinen heißen Atem spüren und in seinen Rachen sehen. Noch einmal zerrte sie vergeblich an ihren Fesseln. Ein eisiger Hauch wehte über ihren Körper und ließ sie erzittern. Sie schmeckte Blut auf ihrer Zunge. Immer mehr Blut sammelte sich in ihrem Mund und drohte sie zu ersticken. Sie begann zu schlucken. Immer hastiger. Eine seltsame Gier überkam sie. Sie wollte mehr! Es würde ihr Kraft geben und sie befreien. Sie würde ihre Fesseln zerreißen und endlich fliehen können.
Doch da war der Wolf plötzlich über ihr, und sie sah in seine roten Augen. Das Maul öffnete sich. Die scharfen Reißzähne blitzten. Ein Tropfen Speichel fiel ihr ins Gesicht und rann an ihrer Wange herab.
Aletta fuhr hoch und riss die Augen auf. Ihr Herz raste, und ihr Atem ging stoßweise, als sei sie wirklich durch die Nacht gerannt. Sie sah sich im Zimmer um. Es war dunkel. Sehr dunkel. Weder Straßenlaternen noch Leuchtreklamen malten ihr Licht an die Wände. Und es war still. Keine Motoren, kein Hupen, kein Gegröle. Alles war vertraut. Sie sog die Luft ein, ihr Herzschlag beruhigte sich. Es roch nach Kindheit, nach Frieden und Unschuld. Und dennoch war da etwas, das den Frieden störte. War das nicht nur einer dieser stets wiederkehrenden Albträume gewesen? Alettas Hand zuckte zu ihrer Wange und wischte ein wenig Feuchtigkeit ab. Wieder begann sie zu zittern, dieses Mal vor Kälte. Sie zog sich das Deckbett bis unters Kinn. Langsam gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit: Kein Wunder, dass ihr kalt war. Das Fenster stand weit offen. Sie konnte sich nicht daran erinnern, es aufgemacht zu haben. Aletta stieg aus dem Bett, tappte zum Fenster und schloss es. Sie spürte, wie sich die Härchen an ihren Beinen und an den Armen aufstellten. Rasch huschte sie ins Bett
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