Feuer der Rache
genug, um die Schäbigkeit der Läden und Kneipen in den Straßen um den Hans-Albers-Platz gnadenlos zu enthüllen. Nachts und mit ein paar Bierchen intus mochte der Kiez in diesen Ecken noch ein wenig düsteren Charme verströmen, bei Tageslicht sah alles nur heruntergekommen und schäbig aus.
Wie mein Leben, dachte Aletta und musste schon wieder die Tränen von ihrer Wange wischen. Sie zündete sich eine Zigarette an und ging die Reeperbahn entlang. Sie hätte ihr Abitur machen und Tiermedizin studieren können, so wie sie es schon als Kind geplant hatte. Oder sie hätte zumindest die Lehrstelle als Tierpflegerin annehmen sollen, die sie bei Hagenbeck bekommen hätte.
Aletta stürmte die Stufen zur U-Bahn-Station St. Pauli hinunter, nahm den ersten Zug bis zum Schlump und stieg dort in die U2 um. Der silberrote Wagen ratterte über die Schienen. Aletta lehnte ihre Wange an das kühle Fenster und sah hinaus. Sie war auf das falsche Gleis abgebogen, aber hatte sie die letzte Abzweigung tatsächlich schon verpasst? War es zu spät, einen anderen Weg zu versuchen? Konnte sie ihrem Leben noch einmal eine neue Richtung geben?
An der Haltestelle Tierpark Hagenbeck stieg sie aus und zündete sich wieder eine Zigarette an. Die Frau an der Kasse nickte ihr freundlich zu. Kein Wunder, so oft, wie Aletta den Zoo besuchte. Sie liebte es, die Tiere zu beobachten. Das gab ihr Ruhe und Kraft. Doch heute, merkte sie bald, war sie zu aufgewühlt, als dass die Tiere ihr hätten helfen können. Sie zog ihr Handy aus der Jackentasche und wählte den ersten gespeicherten Namen. Es klingelte dreimal.
„Hallo, Artemis, kann ich dir helfen?"
Sie nannte sie bei ihrem Hexennamen, den nur die Mitglieder des Covens kannten. Schon allein ihre Stimme gab Aletta neuen Mut.
„Ja, das kannst du", stieß Aletta hervor. „Können wir uns sehen? Heute? Gegen Abend?"
„Wir beide oder der Zirkel?", fragte die kräftige Altstimme. Metta war, als könnte sie sie lächeln sehen, denn wie immer wusste Esther die Antwort bereits.
„Der Zirkel. Ich fühle mich so schwach und ausgelaugt. Ich brauche euch."
„Du weißt, dass wir dir deine Entscheidungen nicht abnehmen können, aber unsere Kraft werden wir dir geben. Ich versuche, die anderen zu erreichen, und rufe dich dann zurück."
Aletta fühlte sich schon viel besser, als sie sich zu den Gehegen der Bären aufmachte.
Am frühen Abend klingelte Sabines Telefon. Es war Michael Merz!
„Ja, was wollen Sie?" Sabine war auf der Hut. Gab es etwas Neues in den Mordfällen von Everheest und Reeder, oder war dies nur ein Vorwand, um noch einmal den Versuch zu starten, sie zu einem gemeinsamen Essen zu überreden?
„Hallo, Frau Berner. Sönke sagte, Sie würden sich für eine vermisste Frau interessieren."
Nun war sie hellwach. Ihr Magen begann seltsam zu schlingern. „Ja! Was haben Sie erfahren?"
„Wir haben gerade die Meldung reinbekommen, dass eine weibliche Leiche an der Elbe entdeckt wurde. Die Bereitschaft der Leichen-und Vermisstenstelle fährt mit der Wasserschutzpolizei raus, um sich die Sache anzusehen."
Die Übelkeit verstärkte sich. „Wo wurde die Leiche gefunden?"
„Irgendwo am Neßsand." Das würde passen. Die Naturschutzinsel lag von Blankenese nur ein Stück elbabwärts. „Genau weiß ich es nicht. Ein Pärchen war mit seiner Segeljacht in der Nebenelbe unterwegs und wollte auf dem Rückweg am Schweinesand anlegen, und da haben sie die Tote anscheinend entdeckt. Mehr weiß ich leider noch nicht. Es ist nur -Sönke meinte, ich solle Ihnen gleich Bescheid sagen."
Das leichte Misstrauen regte sich wieder in ihr, doch das hatte Zeit bis später. „Gut, dann halten Sie mich bitte auf dem Laufenden. Am besten sagen Sie mir Bescheid, wenn die Leiche in Eppendorf eingetroffen ist."
Michael versprach dranzubleiben, verabschiedete sich und legte auf.
Sabine stand noch eine Weile reglos da, den Telefonhörer in der Hand. Ihr Gefühl sagte ihr, dass die Tote Iris war, doch sie wusste aus Erfahrung, dass Stunden oder Tage vergehen konnten, ehe sie Gewissheit haben würde. Wie sollte sie das aushalten, hier in ihrer Wohnung zwischen den engen Wänden, gefangen wie ein Tier? Sabine sah auf die Uhr. Kurz nach sechs. Sie beschloss, nach Ohlsdorf rauszufahren und ihrem Vater einen Blumenstrauß zu bringen. Schnell tippte sie die Nummer ihres Diensdiandys ein, das nun der Neue benutzte, um Kommissar Merz einzuschärfen, sie sofort auf ihrem Mobiltelefon zurückzurufen, wenn er etwas
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