Feuer der Rache
sie ihr ein Kissen unter den Kopf und deckte sie zu.
„Ich möchte mal wissen, was du heute genommen hast", schimpfte sie leise, während sie ihre Kleider über den Schreibtischstuhl legte. Sie schlüpfte in ein Maxishirt, legte sich ins Bett und zog die Decke hoch. „Aber uns Vorhaltungen machen, von wegen das Leben in den Griff bekommen!"
Sie öffnete ihre Nachttischschublade und wählte unter den zahlreichen Pillendosen die mit den Schlaftabletten aus. Drei weiße Kapseln lagen auf ihrer Hand, die sie mit einem Schluck Wasser hinunterspülte. Dennoch lag sie noch eine ganze Weile wach. Sie fühlte sich erschöpft und todmüde, die Gedanken in ihrem Kopf ließen sie jedoch nicht zur Ruhe kommen. Fast beneidete sie Aletta, die mit leicht geöffnetem Mund auf dem Rücken lag und ab und zu ein grunzendes Geräusch von sich gab.
Sie hatte sich geirrt! Wie konnte einen sein Gefühl in solch einer Sache betrügen? Wäre es anders gekommen, wenn sie diese Sache schon früher überprüft hätten?
Vielleicht wäre sie heute noch am Leben, überlegte Carmen.
Es war der Auslöser, nicht die Ursache, erinnerte sich Carmen. Das, was man an der Oberfläche erkennen konnte. Die giftigen Beeren, das Kraut, das bei günstiger Witterung in die Höhe schießt. Das Hauptgift jedoch steckte in der Wurzel, die alt und kräftig war. Man musste tief graben, wenn man sie ausrotten wollte. Nein, mit bloßen Händen oder einer kleinen Schaufel war dem nicht beizukommen. Nur mit Spaten und Hacke konnte man das Unkraut bis in seine Wurzelspitze erreichen, um es für immer zu vertilgen.
Was nützt es, das Unkraut zu vernichten, wenn es die Blumen bereits erstickt hat?, dachte sie. Tränen rannen ihr über die Wangen und tropften in ihr Kissen. Sie tastete noch einmal nach der Pillendose und schluckte zwei weitere Schlaftabletten. Nun endlich erlöste sie der Schlaf von ihren Gedanken.
Ohne nachzudenken, folgte Sabine dem Weg, der in den Baurs Park führte. Der Mond schien vom fast wolkenlosen Himmel und erhellte den Waldpfad, der am Leuchtturm vorbei den Hang hinunterführte. Sie begegnete nicht einem Menschen. Kein Wunder, es war bereits nach drei Uhr früh.
Früher hätte ich das nicht gemacht, überlegte sie. Sie wäre an der hell erleuchteten Straße entlanggegangen, wäre ab und zu stehen geblieben, um auf fremde Schritte zu lauschen, oder hätte sich immer wieder furchtsam umgesehen.
War sie mutiger geworden, oder sah sie diesen Park als sein Revier an, in dem ihr nichts geschehen konnte?
Außer dass der Vampir seinen Appetit nicht zügeln kann und dich aussaugt, meldete sich eine scharfe Stimme in ihrem Inneren.
Nein! Das würde er nicht tun. Er hat mir bisher keinen Schaden zugefügt. Er schützt mich und wacht über mich!
Keinen Schaden? Er hat dein Leben zerstört, und er spielt mit dir. Du bist in seine Falle getappt und merkst es nicht einmal! Obwohl du ihn weggeschickt hast, obwohl er eine Gefahr für das Seelenheil und das Leben deiner Tochter darstellt, wünschst du ihn dir herbei!
Das ist nicht wahr, protestierte sie, und doch lauschten ihre Sinne in die Nacht, ob sie ihn nicht irgendwo erahnen konnte. War es Enttäuschung, die sie empfand, als sie ihren Wagen erreichte, der vor seinem Haus stand, ohne dass er sich blicken ließ?
Unsinn. Sie war nur müde und musste in ein paar Stunden zu der Obduktion einer jungen Frau, die zwei Wochen lang im Fluss gelegen hatte!
Sie warf noch einen sehnsuchtsvollen Blick über das Tor und ließ ihn über den Garten und die dunklen Fenster schweifen. Dann erst stieg sie in ihren Wagen und fuhr nach Hamburg zurück -nach St. Georg, nach Hause.
Um halb zehn versammelten sich auf dem gepflasterten Vorplatz des Instituts für Rechtsmedizin nicht nur Maike und Irene Jacobson, die mit Sabine gekommen waren, sowie die Mutter des Opfers, Barbara Stoever. Auch Aletta und Carmen gesellten sich zu den Wartenden. Frau Stoever musterte die beiden Frauen mit unverhohlener Abneigung, Maike jedoch ging den Freundinnen mit ausgestreckten Armen entgegen.
„Ich bin froh, dass ihr gekommen seid", sagte sie.
Aletta legte ihr den Arm um die Schultern. „Ist doch klar, dass wir bei dir sind. Haben wir es uns nicht geschworen?" Maike nickte.
„Und nachdem ich Aletta endlich wach bekommen habe, waren keine weiteren Hindernisse zu überwinden", fügte Carmen hinzu.
„Bist du krank?", fragte Maike erschrocken und sah Aletta von oben bis unten an. Auch die Kommissarin betrachtete sie
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