Feuer der Rache
ihr Blut ihm mehr Lust, als er lange verspürt hatte. Er versuchte langsam zu schlucken. Schmeckte mit der Zungenspitze, mit den Lippen, mit dem ganzen Mund. Welche Lust!
Schritte und gedämpfte Stimmen näherten sich von der SBahn-Station her. Sofort versetzten seine Sinne ihn in Alarmbereitschaft, und plötzlich funktionierte auch sein kühler Verstand wieder. Was tat er da? Er war im Begriff, sie völlig leer zu trinken. Mit Bedauern löste er seine Zähne aus ihrem Hals und stellte sie auf den Boden. Aletta taumelte und fiel gegen seine Brust. Ihre Augen waren geöffnet und starrten ihn mit einer Mischung aus Ungläubigkeit und Entsetzen an.
„Es ist schon kurz vor eins", sagte eine Frauenstimme. „Was hetzt du mich so", beklagte sich ein Junge. „Sie ist ja noch nicht mal da!"
„Doch", widersprach eine zweite Frauenstimme, „da drüben steht ihre Maschine."
„Wow, die Hayabusa? Echt stark!"
„Quatsch, die Rostlaube an dem Schild."
„Ach so", sagte der Junge enttäuscht. „Sonst hätte sie mich mal fahren lassen müssen. Das wäre auf den Preis noch draufgekommen."
Aletta achtete nicht auf ihre Freunde. Sie konnte ihren Blick nicht von den roten Augen lösen.
„Sie -Sie haben mich gebissen und Blut getrunken", stotterte sie.
„Vergiss es", hauchte er. „Du fühlst dich ein wenig schwach, aber das wird bald vergehen. Denk nicht darüber nach. Vergiss, dass wir uns begegnet sind!"
„Nein!", widersprach sie und fasste sich an den Hals. „Ich will das nicht vergessen."
„Aletta?", erklang die halblaute Stimme der Frau, die zuerst gesprochen hatte. „Verdammt, wo bist du? He, nun sei nicht kindisch, nur weil wir ein bisschen spät dran sind."
„Wenn sie nicht da ist, kann ich ja wieder gehen", schimpfte der Junge. „Eine Nacht um die Ohren schlagen, für nichts! Das könnte euch so passen! Dafür ist mindestens die Hälfte fällig."
„He, Rick, cool down und mach dir nicht ins Hemd."
„ALETTA!"
„Geh! Lass sie nicht länger warten." Er gab ihr einen kleinen Schubs, der sie aus dem Schatten des Gebüschs auf den Platz hinaustorkeln ließ.
Die Leiche aus der Elbe
Ein Geräusch schreckte sie aus dem Schlaf. Sabine fuhr hoch. Ihr Rücken schmerzte. Um sie herum war es dunkel. Sie lauschte. Eine Uhr tickte ganz in der Nähe und schlug dann zweimal so durchdringend, dass sie erschreckt zusammenzuckte. Wo war sie? In ihrer Wohnung, wo sie. zu dieser Zeit hingehörte, jedenfalls nicht.
Sie schüttelte den Kopf, um die Verwirrung zu vertreiben. Sie lauschte wieder. Was hatte sie geweckt? Ein Schlüssel knirschte im Schloss, eine Tür quietschte. Schritte klangen auf den Dielenbrettern. Plötzlich flammte die Deckenlampe auf und stach der Kommissarin in die Augen, sodass sie die Lider schützend zukniff.
Nun war sie richtig wach, und sie wusste auch wieder, wo sie sich befand.
„Was, um alles in der Welt, tun Sie hier?"
„Maike!", sagte sie und öffnete die Augen einen Spalt. „Ihre Großmutter hat sich große Sorgen um Sie gemacht."
Das aufgedunsene Gesicht bleich, das blaue Haar fettig an den Schädel geklebt, stand Maike in der Zimmertür. Das T-Shirt spannte über ihrem mächtigen Busen und dem Bauch, der in mehreren Ringen zu den enormen Schenkeln abfiel. Nur in ihren Augen war das schlanke, schöne Mädchen noch zu finden, das Sabine von dem Foto anlächelte, sobald sie es aus ihrer Tasche zog.
„Das wollte ich nicht", stotterte sie. „Ich habe länger gearbeitet -ja -, eine Kollegin ist krank geworden, und da habe ich ihre Schicht übernommen, und dann war Carmen da, und wir haben geredet. Ich habe einfach vergessen anzurufen." Außer Atem verstummte sie. Die Kommissarin erwiderte nichts. Sie sah Maike nur an und überlegte, ob sie die Wahrheit sagte. Vermutlich nicht.
„Er tut mir leid!", fügte Maike kläglich hinzu. Sabine glaubte ihr.
„Sie müssen sich nicht bei mir entschuldigen", wehrte sie ab. „Ihre Großmutter haben Sie in Angst versetzt. Verständlich, nachdem Ihre Schwester verschwunden ist."
Maike ließ sich auf einn Stuhl fallen, der gefährlich knackte. Tränen traten ihr in die Augen. „Es ist alles so sinnlos", schluchzte sie und barg das Gesicht in den Händen. „Jeder Tag ist eine Qual, und es wird niemals enden."
„Manchmal ist die Ungewissheit am schlimmsten", sagte Sabine vorsichtig. „Wenn man Gewissheit hat -mag sie auch noch so schrecklich sein -, dann kann man anfangen, zu trauern und den Schmerz zu verarbeiten."
Langsam ließ
Weitere Kostenlose Bücher