Feuer der Rache
Er enthielt Kopien, Fotos -manche etwas unscharf, wie mit einem Teleobjektiv gemacht -und handschriftliche Notizen. Sabine betrachtete die Fotos. Ein paar der Abgelichteten erkannte sie: Sven von Everheest und Friederike Reeder in einer Umarmung; auf dem nächsten Bild küssten sie sich innig; Kai Reeder in einem Restaurant im Gespräch mit zwei Männern in schwarzen Anzügen; der Senator, der den Arm um ein sehr junges Mädchen gelegt hatte.
Die Kommissarin vertiefte sich in die Kopien. Es waren Rechnungen und Geschäftsbriefe mit dem Briefkopf der Privatklinik von Everheest, der Kanzlei Reeder & Carst, eines Steuerberaters von Ranzen und einer Werbeagentur Canderhorst in der Hafencity. Außerdem gab es Korrespondenz aus dem Büro des Senators. Sabine überflog ein paar der Schreiben und die handschriftlichen Notizen, die auf jedes Schriftstück geklebt worden waren.
„Ist das die Schrift Ihres Mannes?" Die Witwe nickte.
Sabine blätterte weiter zu privaten Briefen und zu einem handschrifüichen Testament von Sven von Everheest, in dem er die Hälfte seines Vermögens Friederike Reeder vermachte. Es wunderte sie nicht, dass das Schreiben keine amtliche Bestätigung der Anwälte und Notare Reeder & Carst trug.
Sabine sah die Besucherin fragend an. „Dann hatte er also mehr als nur ein kurzes Verhältnis mit ihr?"
Frau Sandemann nickte. „Sie ist schwanger. Ich nehme mal an von ihm. Vielleicht war sie deshalb so leichtsinnig, es ihrem Mann zu verraten. Sie wollte sich scheiden lassen."
„Und dann kam es zwischen den beiden Männern zum großen Krach, woraufhin sie ihre geschäftliche Zusammenarbeit abrupt beendeten. Der Brief lag noch auf von Everheests Tisch", ergänzte Sabine. „So etwas Ahnliches habe ich mir gedacht."
„Ja, und bis das mit Alex passiert ist und ich diese Unterlagen fand, dachte ich, das ist eine persönliche Sache zwischen den beiden Familien."
„Wie stehen Sie zu Lorenz von Raitzen und Eike Canderhorst?"
„Freunde der Familie", antwortete Tanja Sandemann mit einer wegwerfenden Handbewegung. Dann wurde ihre Stimme eindringlich: „Sagen Sie mir: Was halten Sie davon?"
„Ihr Mann hat sich da ein schönes Archiv kompromittierender Unterlagen über seine Freunde zugelegt. Vielleicht war er nur neugierig, vielleicht wollte er sich irgendwie absichern..."
„Und vielleicht hat er sie erpresst! Das wollten Sie doch sagen, nicht?", fügte Tanja Sandemann hinzu.
Die Kommissarin nickte. „Ja, der Verdacht kommt mir bei dieser Sammlung durchaus."
„Dann könnte es sein, dass er von einem dieser Leute -einem unserer Freunde -ermordet wurde?", fragte sie leise.
Ihre Stimme zitterte.
Sabine lag auf der Zunge, dass man seine Freunde weder bespitzelte noch erpresste, aber sie schluckte die Bemerkung hinunter. Stattdessen nickte sie nur.
„Und jetzt sind diese Papiere in meinem Besitz." Sie spreizte die Finger, als habe sie sich beschmutzt. „Muss ich nun damit rechnen, Gift in meinem Drink zu finden?"
Die Kommissarin schüttelte den Kopf. „Nicht, wenn Sie die Unterlagen der Kripo geben."
Tanja Sandemann nahm die Brille ab. „Das nützt aber nur etwas, wenn der Mörder davon erfährt, oder?" Widerstrebend nickte die Kommissarin.
„Soll ich jetzt ein großes Familienfest organisieren und nebenbei erwähnen, welch dunkle Geheimnisse ich von jedem Einzelnen entdeckt habe? Das stelle ich mir sehr spannend vor!" Sie verzog ihr Gesicht zu einer Grimasse. Dann beugte sie sich in ihrem Sessel vor. „Die andere Frage ist doch: Was wird die Kripo mit den Unterlagen machen? Werden sie diesen Dingen nachgehen?"
Sie tippte auf eines der Fotos, auf dem ein schlanker Mann mit rötlichem Haar zu sehen war, der einem Farbigen eine Rolle Geldscheine in die Hand drückte. „Es ist mir egal, ob sie Eike wegen Drogenbesitz anzeigen, aber Finger weg von meinem Vater. Schließlich wird er ja nicht seinen eigenen Schwiegersohn ermordet haben!"
Wenn der ihn erpresst hat, warum nicht?, dachte die Kommissarin.
„Kann ich die Unterlagen über meinen Vater einfach herausnehmen und vernichten?", fragte sie und griff nach dem Ordner.
Sabine zog ihn zurück. „Streng genommen haben Sie das Beweismaterial der Polizei bereits übergeben, und ich muss es im Präsidium aufnehmen und registrieren lassen."
Erschrecken breitete sich über ihrem Gesicht aus. „Aber es ist doch gar nicht Ihr Fall. Sie sind krankgeschrieben, das hat der Hauptkommissar gesagt. Und ich bin doch nur privat zu Ihnen gekommen, um
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