Feuer (Engelsfors-Trilogie) (German Edition)
dahinter ein Regal mit kleinen Fächern für Schlüssel. Farbe blättert von den Wänden und der Zimmerdecke. Aber es riecht sauber. Unnatürlich sauber. Genau wie bei Adriana zu Hause.
»Komm«, sagt Viktor und signalisiert ihr, ihm zu folgen.
Minoo geht zwei Schritte hinter ihm durch den dunklen Flur. Außer dem Geräusch ihrer Schuhe auf dem Steinboden ist nichts zu hören. Schwache Lichtstreifen fallen durch die Ritzen in den Fensterläden.
Als sie sich dem Ende des Flurs nähern, bittet Viktor Minoo zu warten und verschwindet um die Ecke.
Minoo hört, wie sich seine Schritte entfernen, wie eine Tür geöffnet und wieder geschlossen wird. Dann ist es still.
Sie dreht sich um und schaut zum Ausgang. Das wäre die Gelegenheit zu fliehen. Denn was ist, wenn das hier gar kein Verhör wird? Wenn Viktor und Alexander ihr etwas antun wollen?
Niemand weiß, dass ich hier bin, denkt Minoo, und plötzlich kommt es ihr vor, als hätte das große Haus sie einfach verschluckt.
Adriana hatte Todesangst, als sie Minoo vor Alexander warnte, vor ihrem eigenen Bruder. Wer weiß, wie weit er gehen würde, um die Wahrheit herauszufinden?
Ihr dürft auf keinen Fall versuchen, etwas gegen Alexander zu unternehmen. Und was auch immer ihr tut, ihr dürft in den Verhören niemals lügen!
Aber Minoo kann nicht die Wahrheit sagen. Die Auserwählten haben keine andere Wahl, wenn sie sich und Anna-Karin schützen wollen.
Sie haben abgesprochen, was sie erzählen werden, und Minoo wiederholt noch einmal die Lügen, damit sie sich wahr anfühlen.
Ihr bleibt fast das Herz stehen, als sie hinter sich im Flur ein schlurfendes Geräusch hört. Sie dreht sich um und sieht nur Schatten, aber es hilft ihr nicht, sich einzureden, das Geräusch wäre eine Einbildung gewesen. Der Flur ist leer, und trotzdem spürt Minoo ganz deutlich, dass sie beobachtet wird.
Als Viktor ihren Namen ruft, muss sie den Impuls unterdrücken loszurennen.
Sie betreten eine Bibliothek mit schachbrettartigem Steinfußboden und Bücherregalen, die bis unter die Decke reichen. Stehlampen verbreiten ein warmes Licht. Unter anderen Umständen wäre dieses Zimmer für Minoo das Paradies auf Erden.
Alexander sitzt in einem Sessel, hinter ihm ist eine Doppeltür. Er zeigt ihr mit einem Nicken, dass sie sich ihm gegenüber in einen identischen Sessel setzen soll.
Wortlos befolgt sie die Aufforderung. Der Sessel ist dick gepolstert, und sie sinkt so tief in den Sitz, dass sie sich vorkommt wie ein Kindergartenkind. Das muss Teil der psychologischen Kriegsführung sein.
Viktor steht schräg hinter Minoo neben dem Kamin, und die Tatsache, dass er sie beobachtet, trägt nicht gerade zu ihrem Wohlbefinden bei.
Sie denkt an die anderen. Daran, dass sie das hier gemeinsam durchstehen werden. Für Anna-Karin.
Minoo fixiert Alexander mit dem Blick. Sie muss genauso kalt sein wie er, genauso undurchschaubar.
»Wasser?«, fragt er, und zeigt auf eine Karaffe und ein paar Gläser, die auf einem kleinen Tischchen neben ihm stehen.
»Nein, danke«, antwortet sie, obwohl sie Durst hat.
Wer weiß, was er und Viktor hineingeschüttet haben? Schließlich hat sie Gustaf damals auch ein Wahrheitsserum untergejubelt …
Minoo unterbricht ihren Gedanken, als ihr bewusst wird, dass es nicht ausreicht, darauf zu achten, was sie
sagt
. Wenn Viktors Element Wasser ist, dann kann er vielleicht Gedanken lesen, genau wie Linnéa. Warum ist ihr das nicht früher eingefallen?
»Für das Protokoll beginne ich mit der Frage, ob du Minoo Falk Karimi bist«, sagt Alexander und verschränkt die Hände vor dem übergeschlagenen Knie.
»Ja«, antwortet sie und fragt sich, ob sie womöglich das letzte Mal in diesem Raum die Wahrheit gesagt hat.
»Das hier ist ein Verhör. Und zugleich ist es ein Test.«
Minoo windet sich im Sessel und rutscht dabei noch tiefer.
»Und was testen Sie?«, fragt sie.
»Deine Loyalität gegenüber dem Rat.«
Es fällt ihr immer schwerer, sich nicht anmerken zu lassen, wie groß ihre Angst ist. Sie versucht, sich einzureden, dass sie schon gefährlichere Situationen gemeistert hat, seit sie weiß, dass sie eine der Auserwählten ist.
Situationen, an die sie jetzt unter keinen Umständen denken darf, falls Viktor es vielleicht wirklich hören kann.
»Es ist wichtig, dass du die Wahrheit sagst«, fährt Alexander fort. »Wirst du das tun?«
»Ja«, antwortet Minoo.
Die erste Lüge.
Sie hört ein schabendes Geräusch und dreht sich um. Viktor hat ein kleines
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