Feuer (Engelsfors-Trilogie) (German Edition)
schaut ihn an. Sieht, dass er sich bemüht. Sie darf das hier nicht wieder vermasseln.
»Gustaf … es tut mir leid. Das neulich ist dumm gelaufen.«
»Ist schon gut«, sagt er und sieht aus, als meinte er es auch so.
»Ich will nicht, dass wir uns streiten«, sagt sie.
»Ich auch nicht.«
Er scheint nachzudenken. Sie wartet hoffnungsvoll.
»Aber ich kann nicht immerzu alles analysieren«, sagt er dann. »Alles so lange drehen und wenden, bis es kaputt ist.«
Minoo nickt. Sie weiß, was er meint. Was er beschreibt, ist ihr Spezialgebiet.
»Ich will mich wieder wohlfühlen«, fährt er fort. »Nicht mehr ewig grübeln. Ich will die Albträume und das alles loswerden. Und ich glaube, dass PE mir dabei helfen kann.«
Er schaut sie vorsichtig an.
»Dir würde das bestimmt auch guttun. Das meint jedenfalls Rickard.«
Minoo starrt ihn an.
»Das meint
Rickard
? Er kennt mich doch nicht mal.«
»Ich habe ihm ein bisschen erzählt …«, sagt Gustaf und sein Blick flackert, »… worüber wir beide uns unterhalten haben. Rickard sagt, es ist schwer, vorwärtszukommen, wenn man von negativen Menschen umgeben ist.«
Minoo lacht auf, vollkommen freudlos.
»Von Menschen wie mir, oder was?«
»So habe ich es nicht gemeint …«, sagt Gustaf.
Minoos Gesicht glüht. Oder ist es die Luft um sie herum? Sie merkt keinen Unterschied. Als würde sich die Grenze zwischen ihrem Körper und dem Rest der Welt auflösen.
»Worauf willst du eigentlich hinaus?«, sagt sie. »Dass wir nicht mehr länger befreundet sein können?«
Es tut weh, diese Worte auszusprechen. Ihre Stimmbänder beben von unterdrücktem Weinen.
»Nein. Nein, überhaupt nicht. Ich will dieser Sache mit PE nur eine ehrliche Chance geben.«
»Aber dann kannst du dich nicht mehr mit ›negativen Menschen‹ abgeben.«
»Minoo …«
»Warum sagst du nicht einfach, wie es ist?«
Gustafs Gesicht ist ebenfalls rot.
»Ich will mein Leben einfach in Ordnung bringen!«, sagt er.
»Indem du Rickard darüber bestimmen lässt, was du denkst, meinst und fühlst? Mit wem du dich triffst?«
»Ich sage doch nicht, dass er recht hat, ich habe nur erzählt, was er davon hält …«
»Und wie gewöhnlich hattest du keine eigene Meinung? Du bist so
feige
.«
Sie weiß, dass sie wieder zu weit gegangen ist. Genau diese Feigheit wirft Gustaf sich selbst vor. Weil er sich nie getraut hat, Rebecka nach dem Problem zu fragen, das, wie er glaubt, zu ihrem Selbstmord geführt hat.
Und trotzdem ist Minoo nicht sicher, dass sie sich so weit im Griff hat, nicht noch weiter zu gehen. Am liebsten würde sie ihn fragen, was Rebecka seiner Meinung nach von Rickards Philosophie gehalten hätte, Menschen zu meiden, die nicht glücklich oder zufrieden genug sind oder die Probleme haben und denen es schlecht geht.
Wenn sie Rebecka in diese Sache reinzieht, wird Minoo sich das nie verzeihen. Aber wenn sie noch eine Sekunde länger bleibt, dann kann sie sich sicher nicht zurückhalten. Sie muss hier weg.
Aber Gustaf ist schneller.
»Ich sollte jetzt gehen.«
Sie kann nur nicken. Wenn sie den Mund aufmacht, wirbeln die verbotenen Worte heraus und zerstören alles.
Gustaf steht auf.
»Ich habe das nicht gewollt«, sagt er, bevor er geht.
Sie schaut ihm nach, bis er weg ist. Es fühlt sich an, als wäre er endgültig aus ihrem Leben verschwunden.
Minoo hört ein Gurgeln und schaut auf den Kanal.
Eine große Blase steigt an die Wasseroberfläche und zerbirst mit einem Platschen.
36. Kapitel
A
nna-Karin hält ihr Handy fest umklammert.
Sie steht in dem kleinen Wäldchen am Dammsee-Strand und schaut zu, wie die Dämmerung aufzieht. Sie sollte nach Hause gehen, bevor es dunkel ist, aber sie kann sich einfach nicht bewegen.
Minoo hat sich so offensichtlich bemüht, vom Verhör zu erzählen, ohne Anna-Karin in Panik zu versetzen. Rücksichtsvoll, aber sinnlos.
Die Verhöre haben begonnen. Jetzt passiert es wirklich.
Sie denkt an das Geld, das Nicolaus in seiner Matratze versteckt hat und das sie in der rosa Tasche in ihrem Kleiderschrank aufbewahrt. Sie könnte einfach abhauen. Die anderen hätten sicher Verständnis …
Aber der Rat würde mich finden, denkt sie. Seine Mitglieder sind auf der ganzen Welt verstreut. Ich könnte mich nirgends verstecken.
Sie betrachtet die friedliche Oberfläche des Dammsees, in der sich auf der gegenüberliegenden Seite die Bäume spiegeln.
Es ist Jahre her, dass sie hier war. Das letzte Mal, als sie zu Beginn der siebten Klasse gezwungen
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