Feuer (Engelsfors-Trilogie) (German Edition)
eine Chance haben wollen, sich vorzubereiten.
»Aber müsste Anna-Karin nicht einen Verteidiger haben, der ihr hilft? Wir wissen doch gar nicht, was bei so einem Prozess …«
»Ihr werdet die Informationen erhalten, die ihr braucht«, wiederholt Alexander und seine Augen werden dunkler.
Er schenkt sich selbst ein Glas Wasser ein und leert es in wenigen Zügen. Dann schaut er wieder zu Minoo.
»Habt ihr den Schuldigen gefunden?«, sagt er. »Den Gesegneten der Dämonen?«
»Nein.«
»Ich verstehe«, sagt Alexander. »Die Attacken gegen euch haben also ebenso plötzlich aufgehört, wie sie begonnen haben.«
»Ja. Vielleicht haben die Dämonen aufgegeben.«
Alexander lächelt herablassend.
»Und deine Kräfte. Was kannst du mir darüber erzählen?«
Es kommt ihr vor, als wäre ihre Lunge geschrumpft. Sie bekommt beim Einatmen nicht genug Luft.
»Ich weiß nicht, ob ich überhaupt Kräfte habe. Jedenfalls habe ich noch keine bemerkt.«
»Bist du sicher?«
»Ja.«
Alexander sieht sie abwartend an.
»Dann möchte ich noch einmal auf Anna-Karin zurückkommen. Erzähl mir alles über ihre magischen Aktivitäten. Von Anfang an.«
Als Minoo aus der Haustür tritt, sind drei Stunden vergangen, aber es kommt ihr vor wie ein ganzer Tag. In ihrem Kopf herrscht blankes Chaos. Geblieben ist nur das deutliche Gefühl, zu viel und das Falsche gesagt, sich selbst und den anderen alles kaputt gemacht zu haben.
Wie versprochen hat sie ihr Handy nach dem Verhör zurückbekommen. Panik stieg in ihr auf, als ihr Vanessas Nachricht mit den Eisenspänen wieder einfiel. Normalerweise löschen die Auserwählten die Nachrichten der anderen sofort, aber dieses Mal war Viktor schneller. Sie hat keinen Zweifel daran, dass er ihre Nachrichten gefilzt hat.
Minoo flucht innerlich. Jetzt müssen sie ein unschuldiges, nicht-magisches Anwendungsgebiet für Eisenspäne finden, an dem sie und Vanessa ein gemeinsames Interesse haben könnten, bevor Vanessa verhört wird.
Sie geht über den Vorplatz und folgt dem Weg zu den Schleusen, ohne sich umzudrehen, überzeugt davon, dass Viktor sie aus einem der Fenster im oberen Stock beobachtet. Er hat angeboten, sie nach Hause zu bringen, aber für heute hat sie genug von den Repräsentanten des Rats. Ehrlich gesagt sogar für den Rest ihres Lebens. Viktor hat fast enttäuscht ausgesehen, als hätte er sich darauf gefreut, sie noch ein bisschen länger in den Wahnsinn zu treiben.
Minoo geht am Kanal entlang. Die Abendsonne glitzert auf dem Wasser. Das sich ständig verändernde Muster wirkt fast hypnotisierend.
Als sie das Rauschen der Schleusen hört, hebt sie den Kopf und entdeckt Gustaf.
Sie geht langsamer. Bleibt stehen.
Er sitzt auf einer Bank und liest. Er hat sie nicht gesehen. Noch kann sie sich verdrücken.
Aber plötzlich erfüllt sie eine gewaltige Trauer. Dass ausgerechnet sie beide Freunde geworden sind, war so unwahrscheinlich. Und ihr Streit so furchtbar unnötig.
Sie hat ihn in den letzten Wochen vermisst. Das spürt sie deutlicher denn je, als sie ihn dort sieht, wo sie im Sommer so oft spazieren waren. Es wird keine bessere Gelegenheit geben, ihn um Entschuldigung zu bitten, als jetzt.
»Gustaf!«, ruft sie und geht auf ihn zu.
Er schaut auf.
»Hi«, sagt er und klappt das Biologiebuch zu.
Minoo bleibt vor der Bank stehen. Sie überlegt kurz, sich zu setzen, aber der freie Platz neben Gustaf gleicht einer Kraterlandschaft aus getrocknetem Vogeldreck.
»Was machst du hier?«, fragt er.
»Ich war nur spazieren.«
»Aha.«
Gustaf kickt einen kleinen Stein weg und Minoo schaut ihm nach. Er fliegt durch die Luft und landet platschend im Kanal unterhalb der meterhohen Schleusentore.
»Ich dachte, ich hätte dich vorhin mit Viktor gesehen«, sagt Gustaf. »In einem Auto. Warst du das?«
»Ja.«
»Du
triffst
dich mit diesem Idioten?«, fragt Gustaf verblüfft.
»Wir gehen in dieselbe Klasse«, sagt sie. »Und ich darf doch wohl treffen, wen ich will?«
Sie kann sich nicht beherrschen. Sie ist heute schon genug infrage gestellt worden. Besonders von Menschen, denen sie die Wahrheit nicht erzählen kann.
»Schon gut. Schon gut«, sagt Gustaf. »Ich kenne ihn ja eigentlich auch gar nicht. Er macht nur keinen sonderlich netten Eindruck.«
»Nein, aber wie du schon sagtest: Du kennst ihn nicht.«
Was für eine absurde Situation, vor Gustaf zu stehen und Viktor zu verteidigen.
»Ist ja auch egal. Wenn du ihn magst, dann ist er sicher … okay«, sagt Gustaf.
Minoo
Weitere Kostenlose Bücher