Feuer (Engelsfors-Trilogie) (German Edition)
ließen mich leben, aber sie sorgten dafür, dass ich mein Verbrechen niemals vergessen würde.«
Gedankenverloren berührt sie ihr linkes Schlüsselbein, und ein eisiger Schauer läuft Minoo den Rücken hinunter, als sie an das eingebrannte Feuerzeichen denkt, das sich unter Adrianas Bluse verbirgt.
»Sie bestraften mich mit einem Ritual, das mich physisch an den Rat bindet. Mir blieb nichts übrig, als ihren Befehlen zu gehorchen. Und nach einer Weile wollte ich es auch nicht mehr anders. Ich ließ mich manipulieren. Wurde die, die ich sein sollte. Vielleicht war das feige von mir. Aber ich war gebrochen, ich sah keinen anderen Ausweg … Mir ist klar, dass es euch vermutlich schwerfällt, das zu verstehen.«
Minoo schüttelt den Kopf. Alle schweigen. Das blaue Feuer wirft flackernde Schatten auf ihre Gesichter. Es kommt ihnen beinahe so vor, als wäre Adriana ein Teil des Zirkels.
»Ich kehrte in das Leben zurück, das ich führte, bevor ich Simon begegnet war«, sagt sie. »Bücher. Wie ihr bereits wisst, ist es für die heutigen Mitglieder des Rats schwierig, das Buch der Muster zu lesen. Das gilt sogar für natürliche Hexen. Aber wir haben eine gewaltige Bibliothek mit dem gesammelten Wissen unzähliger Generationen und den Deutungen dessen, was in dem Buch je gesehen wurde.«
Minoo wünschte, sie könnte Adriana erzählen, dass sie schon von dieser Bibliothek wissen. Könnte ihr sagen, dass sie mit Matilda gesprochen haben. Jetzt, wo Adriana sich ihnen öffnet, ist es ein schreckliches Gefühl, so viele Geheimnisse vor ihr zu haben, Geheimnisse über sie selbst, über die frühere Auserwählte, die Beschützer, über Nicolaus und die Geschichte des Rats.
»Mein Auftrag war es, den Wahrheitsgehalt verschiedener Prophezeiungen zu überprüfen«, fährt Adriana fort. »Es gibt unglaublich viele, kleine wie große. Ein Machtwechsel in einem Land, ein lokales magisches Phänomen oder das Schicksal eines Verwandten. Der Rat studiert Prophezeiungen, um herauszufinden, welchen Weg die Zukunft einschlägt. Wissen ist Macht. Und Macht ist das Einzige, was den Rat interessiert.«
»Das haben wir in Anbetracht der Lage inzwischen begriffen«, sagt Linnéa.
»Vor einigen Jahren war ich im norwegischen Hauptquartier des Rats in Trondheim, um nach einer Schrift zu suchen, die angeblich Prophezeiungen von Missernten enthielt. Die Bibliothek des Rats ist erstaunlich schlecht organisiert. Größtenteils beruht das auf den internen Machtkämpfen, die über die Jahrhunderte ausgetragen wurden. Zu allen Zeiten wurden unterschiedlichste Schriften mit einem Tabu belegt. Nach einigen Wochen fand ich endlich, wonach ich suchte. Während ich in der Handschrift blätterte, stieß ich auf ein Dokument, das auf ›Die Auserwählte in Engelsfors‹ und die Ereignisse in Bergslagen Ende des 17 . Jahrhunderts verwies. Meine Neugier war geweckt. Die sagenumwobene Auserwählte hatte mich schon von klein auf fasziniert. Und jetzt schien ich einen Hinweis dafür gefunden zu haben, dass dieser Mythos tatsächlich der Wahrheit entsprach.«
»Wie meinen Sie das? Dieser
Mythos
?«, fragt Minoo.
Matilda hatte zwar eingeräumt, dass der Rat das meiste über seine Herkunft und seine Aufgaben vergessen hatte, aber Adriana hat die ganze Zeit von den Auserwählten gesprochen, als wären sie eine Selbstverständlichkeit.
»Genau, was heißt hier Mythos? Sind wir so was wie der Weihnachtsmann, oder wie?«, sagt Vanessa.
Adriana lächelt schief.
»Der Rat hat Die Auserwählte im selben Licht betrachtet wie viele Religionen ihre alten Schriften. Man hielt sie für eine symbolische Erzählung oder die legendäre Version historischer Ereignisse.«
Minoo versucht zu verdauen, was Adriana sagt, aber es ist nicht ganz einfach zu akzeptieren, von einer Menge Menschen zu einer Legende erklärt zu werden.
»Ich wollte mehr wissen und fing an, tiefer in den Archiven in Trondheim zu graben«, sagt Adriana. »Ich fand auch an anderen Stellen Spuren, vorsichtige Andeutungen. Aber schließlich entdeckte ich die schwer beschädigte Abschrift einer Prophezeiung aus dem 13 . Jahrhundert. Und mithilfe der anderen Schriften fing ich an, die Teile zu einem Gesamtbild zusammenzufügen. Alles wies darauf hin, dass in der zweiten Hälfte des 17 . Jahrhunderts ein großes magisches Ereignis in der Gegend um Engelsfors stattgefunden hatte. Eine Hexe mit besonderen Fähigkeiten hatte sich gezeigt. Ein Mädchen, von dem man sagte, sie wäre die Einzige, die die
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