Feuer (Engelsfors-Trilogie) (German Edition)
wenigstens ein Bier«, sagt Wille und hüllt sie in eine süßliche Rauchwolke ein. »Es macht mich ganz nervös, wenn du da einfach nur rumsitzt.«
»Genau, entspann dich mal«, sagt Lucky und knufft sie in den Arm. »Du verpasst ja den ganzen Spaß. Du hättest am Samstag im Götis dabei sein sollen. Das war echt krass.«
»Ich glaube, ich kann damit leben, einen Abend im Götis verpasst zu haben.«
»Klar«, sagt Lucky, »dir bleibt ja sowieso nichts anderes übrig.«
Er sieht hochzufrieden aus, weil er endlich mal die Oberhand hat. Nach dem Abschlussfest vor den Sommerferien haben Vanessa und Evelina es geschafft, aus dem Götvändaren, dem einzigen Hotel mit Club der Stadt, zu fliegen. Eine kaputte Toilette und ein größerer Wasserschaden spielten dabei eine Rolle. Der Besitzer hätte sie garantiert angezeigt, wären sie nicht minderjährig gewesen. Schließlich hätte er sie gar nicht erst reinlassen dürfen.
»Du hättest Wille sehen sollen …«, fährt Lucky fort, aber Jonte unterbricht ihn.
»Halt endlich die Klappe.«
Lucky verstummt sofort und fängt nervös an, einen neuen Joint zu bauen.
»Neeessa …«, sagt Wille und legt den Kopf schief. Er versucht, süß auszusehen, und schafft es sogar ziemlich gut. »Warum willst du nicht mit uns feiern?«
»Weil ich eine Superheldin bin und heute Abend noch einen Geheimauftrag erledigen muss«, sagt sie ernst. »Leider.«
Wille lacht ahnungslos.
Vanessa wirft Jonte einen Blick zu, der sie mit seinen intensiven, dunklen Augen mustert. Manchmal hat sie das Gefühl, dass er mehr darüber weiß, was in dieser Stadt vor sich geht, als er wissen dürfte. Oder ahnt.
Die hässliche Kuckucksuhr an der Wand schreit. Vanessa muss los.
»Du bist so schön«, sagt Wille. »Unglaublich schön. Das weißt du, oder? Du bist die beste Freundin, die man kriegen kann. Die beste auf der ganzen Welt. Du bist zu gut für mich.«
Vanessa sieht ihn an. Seine blonden, zerzausten Haare sollten vielleicht mal geschnitten werden, aber Vanessa gefallen sie so. Sie gibt ihm einen langen Kuss und steht auf.
»Ich fahre jetzt nach Hause«, sagt sie und dreht sich zu Jonte um. »Leihst du mir dein Fahrrad?«
Er nickt und richtet seine Mütze. Jonte kann ihr nichts abschlagen. Vanessa kennt zu viele seiner Geheimnisse. Geheimnisse, die sie Wille verraten könnte, und davor hat er Angst. Sie könnte ihm zum Beispiel erzählen, dass Jonte mit Linnéa geschlafen hat, die Willes Ex ist. Oder dass Linnéa Jontes Pistole gestohlen hat. Und dass diese Pistole letzten Winter im Speisesaal neben Max gefunden wurde.
Der Fahrtwind streicht weich wie Seide über Vanessas nackte Beine. Der Luftzug ist angenehm, aber alles andere als erfrischend. Am liebsten würde sie die Arme über der Brust verschränken und sich in eine Tiefkühltruhe legen wie ein Vampir in seinen Sarg.
Das Fahrrad ist genauso nutzlos wie sein Besitzer. Weil der Lenker leicht schief sitzt, zieht es ständig nach links, und bei der kleinsten Unebenheit im Straßenbelag knirscht es unheilvoll. Vanessa bildet sich ein, ein leises Klirren zu hören, so als würde sie eine Spur aus kleinen Schrauben und Muttern auf der Straße hinterlassen.
Die weiße Steinmauer, die den Friedhof umgibt, leuchtet gespenstisch im hellen Mondlicht. Die anderen warten schon am Tor.
Alle sehen nervös aus. Aber Vanessa spürt vor allem Erleichterung. Endlich passiert etwas. Endlich können sie an etwas anderes denken als an die Frage, wann die Dämonen das nächste Mal zuschlagen.
Das Fahrrad holpert über einen kleinen Hubbel und kippt zur Seite. Vanessa fällt beinahe vom Sattel, bevor sie es schafft, den Lenker rumzureißen und vor den anderen zum Stehen zu kommen. Sie springt von dem verflixten Höllenrad und verpasst ihm einen Tritt. Das tut schweineweh im großen Zeh und sie flucht leise vor sich hin.
Vanessa muss Linnéa nicht mal anschauen, um zu wissen, dass sie grinst. Und es zerreißt sie fast vor Sehnsucht danach, dieses Lachen zu teilen, so wie sie es immer getan haben.
Linnéa hat geschworen, ihre Gedanken nicht mehr zu lesen. Hat ihnen erklärt, dass sie ihre Kraft nur verheimlicht hat, weil sie nicht wollte, dass die anderen Angst vor ihr bekommen. Aber es gibt nichts, was sie sagen könnte, um den Schaden wiedergutzumachen. Vanessa hat längst jeden Moment, den sie miteinander verbracht haben, infrage gestellt. Hat Linnéa ihre Gedanken gelesen? Wusste sie deshalb immer genau, was Vanessa gerade sagen wollte? Nach dem
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