Feuer (Engelsfors-Trilogie) (German Edition)
sich. Sie blockiert Anna-Karin und richtet ihre ganze Kraft nach vorne. Es gelingt ihr, die Gedanken aufzufangen. Sie irren herum, zusammenhanglos, stolpern übereinander, durchdrungen von Angst.
… wie soll ich, was soll ich, was war das, was, wenn jemand denkt, ich wäre es gewesen, wen soll ich, kann ich anrufen, ich rufe Oma an, ich muss hier weg, soll ich hier weg, was soll ich …
Sie kann nicht erkennen, wem diese Gedanken gehören und ob außer ihm noch jemand im Haus ist.
»Da drinnen ist einer«, flüstert sie Anna-Karin zu. »Irgendwas ist passiert. Ist deine Magie startklar, falls wir sie brauchen?«
Anna-Karin nickt.
Langsam geht Linnéa durch den Garten. Die nasse, matschige Wiese schmatzt unter ihren Stiefeln.
Als sie die kleine Außentreppe erreichen, sieht Linnéa, dass die Haustür einen Spaltbreit offen steht. Sie legt die Finger auf das eiskalte Metall der Klinke und öffnet die Tür.
Vorsichtig schleicht sie, dicht gefolgt von Anna-Karin, in die Diele. Die Gedanken gleichen jetzt einem hysterischen Brabbeln, einem Strom von Worten.
… ich schwöre, mich zu bessern, ich schwöre, nie mehr, ich werde nie mehr Drogen nehmen, nie mehr lügen, nie mehr trinken, wenn es nur aufhört, ich schwöre, ich schwöre, wenn das hier nur irgendwann aufhört, werde ich ganz von vorne anfangen, und nie mehr etwas Schlechtes tun, ich tue alles, was du willst, lieber guter Gott, wenn du nur machst, dass ich es schaffe, wenn du nur dafür sorgst, dass das alles gar nicht passiert ist …
Es ist unmöglich herauszufinden, aus welchem Zimmer die Gedanken kommen. Linnéa schaltet ihre Kraft ab. Kompakte Stille umgibt sie.
Sie gehen in die Küche. Auf der Arbeitsplatte türmt sich der Abwasch. Ein Teller mit Essensresten steht auf dem Holztisch, der übersät ist mit Brandflecken und kleinen Macken.
Linnéa schaut zu der verschlossenen Tür der Besenkammer, zu den zerschlissenen Vorhängen, die fast bis auf den Boden reichen. Es gibt so viele Verstecke, aus denen jeden Moment jemand hervorspringen könnte.
Sie schleichen ins Wohnzimmer und Linnéa späht durch die offene Tür.
Das Zimmer sieht beinahe unverändert aus. Nur der riesige Fernseher ist neu. Als Linnéas Blick auf den orangebraunen Fransenteppich fällt, muss sie an einen der vielen Abende hier denken. Sie ging damals in die Siebte und es war Party wie so oft. Elias und sie hatten sich eine Mischung aus allem, was die Bar hergab, geteilt, und dieser Teppich erschien ihnen wie der kuscheligste Teppich der Welt. Sie rollten darauf herum, lachten wie irre, versuchten, miteinander zu knutschen, und lachten noch mehr. Olivia saß auf dem Sofa und beobachtete sie, während sie eine Zigarette bis zum Filter rauchte. Als sie aufgeraucht hatte, drehte sie sich zu Lucky, der neben ihr saß, und machte mit ihm rum, als wäre es eine Art Wettbewerb, den sie gewinnen wollte. Und Elias und Linnéa lachten noch mehr.
Ein Poltern im ersten Stock lässt Linnéa und Anna-Karin aufschrecken.
Linnéa spürt Anna-Karins Angst, und das macht sie mutiger, ganz einfach, weil ihr nichts anderes übrig bleibt. Sie zieht Anna-Karin mit sich die Treppe nach oben, bleibt einen Moment stehen, starrt hinauf in die kohlschwarze Dunkelheit, lauscht.
Die Gedanken sind jetzt ganz nah. Da oben ist jemand.
Linnéa setzt den Fuß auf die oberste Treppenstufe. Sie knackt unter ihrem Gewicht.
… sie sind zurück, um mich zu holen, sie sind zurück, um mich zu holen, muss mich verstecken, muss hier weg, muss mich verstecken …
Die Angst des anderen strömt durch Linnéa, und sie ist sicher, dass ihnen diese Person nicht gefährlich wird. Aber sie weiß nicht, ob nicht doch noch jemand anders in der Nähe ist. Jemand, der ihre Kraft kennt und sich dagegen zu schützen weiß.
Linnéa wirft Anna-Karin einen schnellen Blick zu und geht weiter.
Der Flur liegt in völliger Dunkelheit vor ihr. Nur ein schmaler Lichtstreifen sickert aus Jontes Zimmer. Linnéa drückt vorsichtig mit der Hand gegen die Tür und lässt sie aufgleiten.
Im Raum sind Spuren von Magie. Wie ein Geruch, der noch in der Luft hängt, ein Laut, der nachklingt.
Jontes Nachttischlampe brennt. Daneben liegen sein Handy und ein aufgeschlagenes Buch. Sein Bett ist ein einziges Durcheinander aus Kissen, zerknüllten Laken und Decken. Und darunter liegt noch etwas.
Langsam tastet Linnéa sich vor. Entdeckt einen nackten Arm zwischen den Laken.
Sie versucht, Gedanken aufzufangen. Bruchstücke eines Traums. Aber er
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