Feuer (Engelsfors-Trilogie) (German Edition)
kratzen ihr gesamtes Bargeld zusammen und Minoo hebt die Gardine an und späht vorsichtig aus dem Fenster. Sie hat freie Sicht auf die Kristallgrotte.
Sie lässt die Gardine los, als Linnéa zurückkommt und ein Tablett mit fünf Teetassen auf den Tisch stellt.
»Sture sagt, wir können so lange bleiben, wie wir wollen«, sagt sie und drängelt sich neben Ida.
Eine Weile sehen sie sich schweigend an. Nur langsam sickert das Ausmaß der Ereignisse dieses Morgens in Minoos Bewusstsein.
»Was wollten die mit uns machen?«, fragt sie Linnéa. »Konntest du das hören?«
»Ich glaube, sie wussten es nicht mal selbst. Sie hatten noch keinen Befehl bekommen.«
Minoos Nackenhaare stellen sich auf.
»Es muss die Kette sein«, fährt Linnéa fort. »Sie waren irgendwie aneinandergekoppelt. Wenn einer von denen uns sieht, dann wissen die anderen im selben Moment, wo wir sind.«
»Was glaubt ihr, wie viele aus der Schule heute Abend zu diesem Frühlingsfest gehen?«, fragt Vanessa.
»Bestimmt über hundert Personen«, sagt Minoo.
»Ich schätze, es werden wahrscheinlich eher zweihundert sein«, sagt Linnéa.
»Wenn alle Amulette tragen, dann haben Helena und Krister vierhundert Augen, die für sie Ausschau halten«, sagt Vanessa.
»Wir sind nirgends sicher«, sagt Ida, und ihre Stimme klingt so tot, als hätte sie schon aufgegeben.
Minoo denkt an Gustaf. Er hat ihr versprochen, die Kette nicht umzulegen. Aber was, wenn er zu dem Schluss kommt, er müsse es tun, um nicht aufzufallen?
»Was ist mit dem Rat?«, sagt Vanessa plötzlich. »Wozu hat man denn zwei Feinde? Können wir Positives Engelsfors und den Rat nicht gegeneinander ausspielen? Helena und Krister haben gegen alle magischen Gesetze verstoßen. Wenn wir sie anzeigen würden, … zum Beispiel bei Viktor, … dann müsste der Rat doch versuchen, sie aufzuhalten. Vielleicht könnte uns der Rat
nützlich sein
!«
»So kurz nach dem Prozess wäre das Risiko viel zu groß«, sagt Linnéa. »Womöglich reicht es dem Rat nicht, uns den Titel ›Die Auserwählten‹ zu entziehen. Vielleicht wartet er nur auf die nächste Gelegenheit, uns fertigzumachen. Ich meine, wenn wir eins gelernt haben, dann doch wohl, dass der Rat Informationen immer genauso verwendet, wie es ihm gerade passt. Wir können nur auf uns selbst vertrauen. Genau wie Matilda von Anfang an gesagt hat.«
»Ich vermisse Nicolaus«, sagt Anna-Karin. »Ich wünschte, er wäre hier.«
Minoo nickt. Sie nimmt ihr Handy aus der Tasche. Immer noch kein Empfang.
»Funktionieren eure Telefone?«, fragt sie.
Die anderen schütteln die Köpfe.
Minoo legt ihr Handy vor sich auf den Tisch. Sie will ihren Vater anrufen und ihn warnen, aber wovor? Sie will Gustaf sprechen und verhindern, dass er zu diesem Fest geht. Sie will ihre Mutter anrufen, nur um ihre Stimme zu hören.
Die Zeit vergeht unendlich langsam. Irgendwann ist es zwölf, aber Mona ist immer noch nicht aufgetaucht.
Der Stress kribbelt in Minoo. Sie dürfen keine Zeit mehr verlieren. Aber sie wissen auch nicht, was sie tun sollen. Und so sitzen die Auserwählten um ein Uhr vor einem großen Teller Pommes frites, den Sture ausgegeben hat, und essen.
Um halb vier ist Minoo den Tränen nah. Sie hat alle Probleme im Geiste gedreht und gewendet, bis sie nicht mehr denken konnte. Anna-Karin sitzt stumm am Fenster und bewacht die Kristallgrotte. Ida ist auf dem Tisch eingeschlafen, den Kopf auf die Arme gelegt.
Plötzlich setzt sie sich auf. Sie schaut sich verschlafen um und wischt sich ein wenig Spucke aus dem Mundwinkel.
»Sie ist jetzt da«, sagt sie.
»Wer?«, sagt Minoo. »Wo?«
»Mona«, sagt Ida. »Sie muss es sein.«
»Aber es ist niemand in den Laden gegangen«, sagt Anna-Karin.
»Vielleicht gibt es noch einen anderen Eingang«, sagt Vanessa. »Das würde jedenfalls eine Menge erklären.«
Minoo schaut aus dem Fenster und sieht, wie in der Kristallgrotte das Licht angeht.
»Drüben ist jemand«, sagt sie.
Alle stehen gleichzeitig auf. Sie bedanken sich hastig bei Sture und rennen los.
Ein ekelhafter Gestank nach Räucherstäbchen und Zigarettenrauch schlägt Minoo entgegen, als sie den Laden betritt, und benebelt ihre Sinne.
Die Kristallgrotte erinnert an eine extrem überladene Geschenkboutique. Die Regale sehen aus, als würden sie jeden Moment unter der Last von Porzellanengeln und Pyramiden zusammenbrechen.
Hinter der Kasse steht eine Frau mit wallendem, gelb blondiertem Haar. Zwischen ihren rosa schimmernden Lippen
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