Feuer (Engelsfors-Trilogie) (German Edition)
außer den gedämpften Stimmen aus den Klassenzimmern und wie jemand durch das Treppenhaus rennt.
Sie schließt die Augen und lässt mehr von ihrer Kraft frei, als sie je zuvor gewagt – oder gekonnt – hat.
Es kommt ihr vor, als würde sie den Kopf in einen Bienenstock stecken. Es fühlt sich an wie ganz am Anfang, als sie noch nichts über ihre Kräfte wusste, als sie dachte, sie würde verrückt werden, all die Jahre voller Sorgen und Chemikalien hätten zum Schluss doch ihr Gehirn zerstört.
So viele Menschen, so viele Gedanken. Aber mitten in dem Surren kehrt der eine Gedanke wieder und wieder.
Sie dürfen damit nicht durchkommen.
Über ihr, unter ihr.
Sie dürfen damit nicht durchkommen.
Es ist ein Mantra, das ununterbrochen wiederholt wird, aus unterschiedlichen Richtungen, überall in der Schule.
Sie dürfen damit nicht durchkommen.
Sie dürfen damit nicht durchkommen.
Sie dürfen damit nicht durchkommen
.
Der Hass ist so verführerisch. Es wäre schön, einfach loszulassen und darin aufzugehen. Einfach besinnungslos hassen zu dürfen, ohne etwas infrage zu stellen.
Linnéa ist kurz davor, mitgerissen zu werden, und sie schaltet die Kraft ab. Öffnet die Augen.
Es kommt ihr vor wie eine Ewigkeit, bis es in ihrem Kopf wieder still ist.
Ihre Sohlen quietschen, als sie sich umdreht und durch die offene Tür zu den anderen schaut.
»Sie denken alle dasselbe«, sagt sie. »Wir müssen abhauen.«
Sie wirft einen Blick über die Schulter und entdeckt Tommy Ekberg und Backman, die am Ende des Korridors aufgetaucht sind.
Sie kommen mit schnellen Schritten näher.
»Los!«, ruft Linnéa und die anderen springen auf, kommen endlich in Fahrt.
Wie eine Horde aufgeschreckter Tiere stürzen sie aus dem Büro des Rektors, die Wendeltreppe nach unten in den Korridor im Erdgeschoss.
Sie biegen um eine Ecke, aber da steht Kevin und erwartet sie schon.
Sie sind hier!
Sofort rasseln die Gedanken wie fallende Dominosteine weiter durch die Schule.
Sie sind hier! Sie sind hier! Sie sind hier! Sie sind hier! Sie sind hier!
Kevin bekommt Linnéas Jacke zu fassen, aber Vanessa versetzt ihm einen Stoß, und Linnéa kann sich losreißen.
Sie rennen in die Eingangshalle. Schritte hinter ihnen im Flur. Schritte auf der Haupttreppe.
Sie dürfen damit nicht durchkommen.
Sie drängen sich durch die Tür, rennen weiter.
Wirklich, ich hasse diese Schule, denkt Linnéa.
67. Kapitel
A
ls sie die Citygalerie erreichen, hat Minoo so starkes Seitenstechen, als hätte ihr jemand einen glühenden Eisenspieß in die Seite gerammt. Sie kann kaum atmen, nur flach und oberflächlich keuchen. Sie beugt sich nach vorne und stützt die Hände auf die Knie.
»Was wollen wir hier?«, sagt Vanessa. »Die Kristallgrotte öffnet doch nicht vor zwölf.«
»Ich dachte mir, wir könnten uns vielleicht da verstecken«, sagt Linnéa und zeigt auf den Eingang von Sture & Co.
Minoo schaut zu den dunkel getönten Glasscheiben in der Tür. Denkt an die Gerüchte von Drogendeals und Messerstechereien. An die menschlichen Wracks, die nach einem Nachtmittagsbesuch bei Sture auf die Straße torkeln. Die, die nicht mehr ins Götis dürfen, aber noch nicht endgültig in den Storvallspark abgeschoben wurden. Sie hofft, dass Linnéa nicht hört, was sie denkt.
»Wir könnten zu mir nach Hause und da warten«, sagt Minoo.
»Nein«, sagt Linnéa und schüttelt den Kopf. »Das ist zu gefährlich.«
»Denkst du, die sind mit Heugabeln und Fackeln hinter uns her?«, sagt Vanessa.
»Ich würde es nicht ausschließen«, sagt Linnéa ernst und klopft an die Kneipentür.
Ein magerer Mann mit einer Nase, die an einen großen, rot gefleckten Blumenkohl erinnert, macht auf. Er lächelt, als er Linnéa sieht.
»Ich weiß, dass du noch nicht aufhast, aber können wir trotzdem ein bisschen bleiben?«, fragt sie.
»Na klar«, sagt er und lässt sie rein.
Minoo schaut sich im Innenraum um. An den Wänden hängen Spiegel auf einer fleischfarbenen Textiltapete. Bei jedem Schritt strömt kalter Zigarettenrauch aus dem Teppichboden. Schmuddelige, gelb karierte Gardinen sind vor die Fenster gezogen und verhindern unerwünschte Blicke von draußen.
Linnéa führt sie durch das Lokal ganz nach hinten zu einigen kleinen Nischen mit dunkelbraunen Holztischen, allesamt vollgekritzelt und zerkratzt.
Minoo setzt sich. Das Kunstlederpolster knarrt, als sie zum Fenster durchrutscht.
»Hat eine von euch Geld?«, fragt Linnéa. »Wir müssen was bestellen.«
Sie
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