Feuer (Engelsfors-Trilogie) (German Edition)
Chaos.
Die Zeit bis zum Klingeln zieht sich ewig hin.
Minoo ist unter den Letzten, die das Klassenzimmer verlassen. Ylva sitzt am Pult, nickt steif und wünscht den Schülern, die aus Versehen in ihre Richtung schauen, ein schönes Wochenende. Minoo hat Mitleid mit ihr und lächelt so freundlich sie kann. Ylva sieht dankbar aus und das schmerzt noch mehr.
Minoo folgt dem Schülerstrom die Treppe hinunter und bleibt an ihrem Spind stehen, sucht alle Bücher raus, die sie am Wochenende braucht. Es wird ein ordentlicher Stapel. Genau wie alle vorhergesagt haben, ist die elfte Klasse bedeutend anspruchsvoller als die zehnte. Bald wird sie eine Schubkarre für die Schule brauchen.
Als sie in die Eingangshalle kommt, sieht sie Gustaf am Schwarzen Brett stehen. Er hält einen bunten Zettel in der Hand.
»Hi! Ich wollte dich gerade anrufen«, sagt er. »Wollen wir am Wochenende was zusammen machen?«
Minoo will schon Ja sagen, als ihr das Treffen im Vergnügungspark einfällt. Die Rektorin hat von »Veränderungen« noch vor dem Herbst gesprochen. Das könnte durchaus bedeuten, dass sie das ganze Wochenende mit Magieunterricht verbringen müssen. Vielleicht ist auch das zweite Jahr in der Hexenschule härter. Außerdem braucht sie mehr Zeit, um über all das nachzudenken, was sich rund um Nicolaus ereignet hat.
»Ich kann nicht«, sagt sie.
»Was hast du denn vor?«
Minoo selbst hätte nie gewagt, das zu fragen, nur für den Fall, dass der Betreffende schwindelt und schlicht keine Lust hat, sich mit ihr zu treffen. Aber in Gustafs Blick gibt es keinen solchen Verdacht. Er kann so erschreckend …
vertrauensvoll
sein.
»Ich habe meiner Mutter versprochen, dass wir am Wochenende was unternehmen«, sagt sie.
»Wie schade. Ich wollte dich fragen, ob du nicht hierhin mitkommen magst.«
Er reicht ihr den Zettel. Es ist der gleiche Werbeflyer, den Minoo auf Nicolaus’ Fußabtreter gesehen hat. DAS ZENTRUM FÜR EIN POSITIVES ENGELSFORS ERÖFFNET MORGEN , jubelt der Text über einem Foto friedvoller Menschen im Sonnenuntergang. Minoo kennt die Adresse. Die ehemalige Bibliothek in der Innenstadt. Offensichtlich wird es auch Musik und Essen geben. Und die obligatorischen Gratis-Luftballons für Kinder.
»Woher hast du das?«, fragt Minoo.
»Von Rickard. Ich habe ihn den ganzen Sommer über kaum gesehen«, sagt Gustaf. »Ich hätte nicht gedacht, dass er sich auch für etwas anderes als Fußball begeistern kann.«
»Was ist das eigentlich? Es wirkt irgendwie … sektenhaft.«
»Ach, das glaube ich nicht«, sagt Gustaf. »Rickard sagt, es ist total super dort.«
»Was bedeutet ›total super‹? Was
machen
die da?«
»Das wollte ich ja rausfinden. Komm doch mit!«
»Es ist sicher besser, wenn ich mich fernhalte. Damit ich dich später notfalls entführen und wieder umprogrammieren kann.«
Sie wartet darauf, dass Gustaf lacht, aber das tut er nicht.
»Wir waren doch auch der Meinung, dass dieser Stadt ein bisschen frischer Wind fehlt«, sagt er. »Es gibt wirklich Leute, die versuchen, etwas Gutes auf die Beine zu stellen. Muss man denn immer so kritisch und misstrauisch sein?«
Minoo ist überrascht, wie schnell Gereiztheit in ihr aufflackert. Es ist das erste Mal, dass sie sich wirklich über Gustaf ärgert. Gerade wird ihr alles, was sie sonst an ihm schätzt, einfach zu viel.
»Nein, muss man natürlich nicht«, sagt sie. »Selbstverständlich sollte man bei allem und jedem immer nur vom Besten ausgehen. Die Mühe lohnt sich, schließlich ist die Welt so ein wahnsinnig netter und heimeliger Ort.«
Gustaf starrt sie an, und Minoo wird die Tragweite dessen bewusst, was sie da eben gesagt hat. Denn wenn jemand weiß, dass die Welt eben kein netter, heimeliger Ort ist, dann Gustaf. Der mit ansehen musste, wie seine Freundin Rebecka vom Dach stürzte und auf den Asphalt des Schulhofs aufschlug. Der immer noch glaubt, dass es Selbstmord war.
»Viel Spaß mit deiner Mutter«, sagt er und geht.
Sie sieht ihn durch das Schultor verschwinden und fragt sich, was eigentlich gerade passiert ist. Wie sie es schaffen konnte, in so kurzer Zeit so viel kaputt zu machen.
Nur weil sie herumrennt und überall Dämonen sucht, muss Gustaf doch nicht dasselbe tun. Wer ist sie, darüber zu urteilen, dass er zuerst das Licht sehen will und nicht die Schatten?
19. Kapitel
G
!«, ruft Ida sofort, als sie ihn aus der Schule kommen sieht.
Sie hat den Verdacht, dass sie sich lächerlich macht, aber das ist ihr egal. So gesehen ist es
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