Feuer (Engelsfors-Trilogie) (German Edition)
Déjà-vu, als sie so dasteht und denkt, dass das Buch sich aufführt wie eine griesgrämige alte Diva.
Das ohnehin schon fahle Licht in der Citygalerie fängt mit einem knisternden Laut an zu flackern. Seit dem heftigen Gewitter ist die Stromversorgung in Engelsfors instabil. Das ist nicht nur nervig, es erinnert Vanessa auch ein bisschen zu sehr an Horrorfilme.
Sie verlässt eilig die Galerie. Vor dem großen Supermarkt flattern einsam ein paar Ica-Fahnen im Wind. Es ist zwar schon fast Mitte September, aber noch immer heiß.
Erst als Vanessa am Storvallspark um die Ecke biegt, kommt ihr jemand entgegen.
Und er ist einer der letzten Menschen, denen sie hier und jetzt begegnen will.
Vanessa denkt kurz darüber nach, einfach umzudrehen und so zu tun, als hätte sie ihn nicht gesehen. Aber sie sind die einzigen Lebewesen weit und breit. Er hat sie garantiert schon entdeckt und wüsste sofort, dass sie versucht, ihm aus dem Weg zu gehen.
Also geht sie weiter auf ihn zu.
Es dauert gefühlte hundert Jahre, bis sie sich schließlich gegenüberstehen. Jonte sieht so verunsichert aus, wie sie sich fühlt.
»Hi«, sagt Vanessa.
»Hi«, sagt Jonte. »Und wie?«
»Gut. Super.«
»Ah, schön.«
Stille.
»Und du?«, fügt sie hinzu.
»Ach ja«, sagt Jonte und schaut sich um, als hoffte er, dass jemand kommt und ihn rettet. »Ist lange her, was?«
»Ja.«
Denn so fühlt es sich an, auch wenn erst drei Wochen vergangen sind, seit sie mit Wille Schluss gemacht hat. Seitdem ist auch seine gesamte Clique aus ihrem Leben verschwunden. Sie vermisst die Jungs nicht direkt, aber mit ihnen war alles einfacher, und das fehlt ihr. Sie konnten immer bei Jonte abhängen, er ließ sich immer zu einer Party überreden. Ohne Wille hat sie plötzlich so viel Zeit, mit der sie nichts anzufangen weiß, und in dieser Stadt ist es schwer, solche Lücken zu füllen.
»Schade, dass es so gekommen ist«, sagt Jonte. »Ohne dich ist es verdammt langweilig.«
Er sieht verlegen aus und schaut weg.
Vanessa ist überrascht. Jonte hat nie den Eindruck vermittelt, sie besonders zu mögen. Er schien ihre Anwesenheit mehr oder weniger hinzunehmen. Andererseits hat er auch nie für irgendetwas sonst besonderes Engagement gezeigt, von der Plantage in seinem Keller mal abgesehen.
»Hast du es gewusst?«, fragt sie. »Dass er mich betrogen hat?«
Jonte sieht so zerknirscht aus, dass er ihr keine Antwort geben muss.
Herrgott noch mal, wer war denn noch alles eingeweiht? Wenn Jonte Bescheid wusste, wusste
Lucky
es dann auch? Haben die gedacht, sie wäre ein dummes Huhn, das nichts kapiert? Vanessa schämt sich, und sie hasst sich dafür, dass sie sich schämt, obwohl Wille das Schwein ist.
»Ich hoffe, du bist nicht sauer auf mich«, sagt Jonte und schiebt seine Mütze zurecht. »Irgendwie ist es ja meine Schuld, dass es so weit gekommen ist.«
Seine Schuld? Das ist eine neue Information. Eine Information, von der Jonte zu glauben scheint, dass Vanessa sie längst hat, sonst hätte er das nicht gesagt.
Sie versucht, neutral auszusehen, und lässt ihn weiterreden.
»Elin und ich waren in derselben Klasse. Ich mochte sie immer. Deshalb habe ich sie ins Sommerhaus meines Vaters eingeladen. Ich hätte doch nie gedacht, dass sie und Wille …«
Die Puzzleteile fallen an ihren Platz.
Klick, klick, klick
. Sie bilden ein Muster, das Vanessa vorher so nicht gesehen hat.
Das Wochenende im letzten Jahr, an dem Wille einfach verschwand. Wie er zurückkam und erzählte, er wäre im Sommerhaus von Jontes Vater gewesen, alleine, um nachzudenken. Und ihm wäre klar geworden, wie sehr er sie liebt. Dann gab er ihr den Verlobungsring.
Aber das war eine Lüge.
Er hat wegen seines schlechten Gewissens um Vanessas Hand angehalten. Er hatte mit dieser
Elin
geschlafen. Und Vanessa hat ihm einfach alles abgekauft. Seinetwegen hat sie sogar Mama und Melvin im Stich gelassen.
Er hat sogar dann noch gelogen, als er weinend auf Sirpas Sofa saß und erklärte, »er wolle nur ehrlich sein«. Er sagte, er wäre zwei Mal mit Elin fremdgegangen. Aber es waren drei. Oder mehr. Wer weiß, wie oft?
Vanessa wird übel.
»Ich muss los«, sagt sie. »Ich muss … Ich muss Melvin abholen.«
Sie sieht die Panik in Jontes Augen, als er begreift.
»Shit, du wusstest es nicht. Es tut mir leid.«
»Ich kann ›tut mir leid‹ echt nicht mehr hören«, sagt sie.
Natürlich ist Melvin in schlimmster Quengellaune. Erst will er im Buggy sitzen, dann will er laufen, dann will er
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