Feuer fuer den Grossen Drachen
‘n Stündchen auf ‘n Spielplatz gehen könntest. Ich mach ihr bloß noch schnell ‘ne Windel.»
«Okay. Ich muß sowieso erst um zehn auf ‘n Bock, ‘n Kollegen ablösen, der muß nachts noch…»
Weiter kam er nicht, denn im Nebenzimmer begann eine elektrische Gitarre loszulärmen.
«Das ist Happy Glueck!» schrie Thea. «Der will ‘ne Band aufmachen – Die Slummies. »
«Idiot!» Kochale stürzte hinüber, um Happy den Stecker aus der Wand zu reißen.
«Hä, du Arsch mit Ohren!»
Happy schmiß Kochale eine noch halb gefüllte Kaffeedose an den Kopf und fing sich dafür eine knallharte Rechte ein, genau in die Magengrube. Wimmernd und würgend hockte er da, Thea mußte ihn wieder auf die Beine bringen.
«Du brauchst hier nicht den Helden und Beschützer zu spielen», sagte sie zu Kochale.
«Und du mußt unbedingt raus hier!»
Ihre Lust, ihm Sheila mitzugeben, war nicht mehr allzu groß, aber schließlich tat sie es doch. Einmal aus Furcht vor ihm – alles an ihm war eruptiv, gewalttätig, erfüllte sie mit tiefem Schrecken und machte sie passiv; zum anderen wollte sie nicht, daß Sheila mit ins Wartezimmer kam. Wie hatte Theo immer gesagt: Wer noch nicht richtig krank ist – im Wartezimmer eines deutschen Arztes wird er’s bestimmt, das haben die so eingerichtet, damit sie sich endlich ‘n Bungalow auf Teneriffa kaufen können…
Endlich, als sie Sheila gewindelt hatte und ihr die Schühchen anzog, kam die Frage, auf die er schon die ganze Zeit über gewartet hatte: «Was is ‘n nu mit Hanna?»
«Seit Theos Beerdigung hab ich sie auch nicht mehr gesehn, nur telefoniert mit ihr.»
«Und…?»
«Sie hat wenig Zeit im Augenblick; Q-Müller scheucht sie wohl ganz schön.»
Thea hatte Mühe mit der strampelnden Tochter. Es dauerte ewig, bis sie die Schnürsenkel verknotet hatte. Sie gab Sheila einen kleinen Klaps Richtung Treppenhaus, richtete sich auf und wischte sich den Schweiß von der Stirn. «Du machst doch sonst immer so auf großen Kämpfer – bloß bei Hanna, da biste passiv…»
«Ich wart ja bloß darauf, daß ich den Kerl mal zwischen die Finger kriege.»
«Kannst du dir nich vorstellen, daß man so was auch mal ohne Gewalt lösen kann?»
«Nee.»
«Damit bist du sie doch erst recht los.»
«Na und? Warum soll ich der einzige Verlierer sein?»
Ende der Diskussion, denn genau in diesem Augenblick ließ Dennis eine große Coca-Flasche auf dem Küchenboden zerschellen, und sie hatten unheimlich Mühe, das klebrige Zeug daran zu hindern, in alle Spalten und unter alle Schränke zu laufen.
Das war mehr Familienleben, als Kochale zu ertragen vermochte, und so war er geradezu froh, daß er endlich losziehen konnte: Mit Sheila im Kinderwagen durch Kreuzberg.
Die Türken starrten ihn an, die Rentner starrten ihn an, die deutschen Subkulturler starrten ihn an: Es kam sehr selten vor, daß Männer seines Alters wie seines Zuschnitts – Gardemaß plus Jungmanagerallüren – ihre Brut hier spazierenfuhren. Am liebsten hätte er sich ein Schild um den Bauch gehängt: Dies ist nicht mein Kind.
Er dachte in Worten – so als sei er Reporter und spreche auf Band: Ein Scheißzustand. Da lauf ich nun ängstlich und geduckt durch meine Stadt, ein Fremder in seiner eigenen Heimat… Wobei er nur vergaß, daß er dieses Kreuzberg erst vor kurzem zur Kenntnis genommen und erstmals betreten hatte, lange Jahre nach Paris, London und New York, Athen und Kairo.
Gleichviel; Sheila wollte unbedingt ein Würstchen haben, und er kaufte ihr auch eins. Am Oranienplatz, wo einer von Theos Spezis von den einströmenden Touristenscharen lebte, ein ehemaliger Lehrer, der sich so engagiert für die freiheitlich-demokratische Grundordnung eingesetzt hatte, daß er schließlich mit dem Berufsverbots-Orden bedacht worden war; nun resignierend: Besser Würstchenstand als Widerstand, wie Theo es kommentiert hatte.
Sheila war eingeschlafen, und er schob sie die Oranienstraße hinunter, Richtung Heinrichplatz.
Meyerhoffs Laden war noch immer verwaist, der Zettel mit der zynisch-lakonischen Mitteilung Wegen vorübergehender Ermordung geschlossen fast bis zur Unleserlichkeit vergilbt.
Das Nebenhaus war zur Hälfte ausgebrannt; dem Gestank nach zu urteilen, mußte der Ku-Klux-Klan erst letzte Nacht zugeschlagen haben.
Ein Möbelwagen stand unten, neben ihm ein gemieteter VW-Kombi; Sachen wurden verladen. Kochale blieb stehen und hörte zu. Die letzten Deutschen in Hinterhaus und Seitenflügel zogen fort. Zwei
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