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Feuer fuer den Grossen Drachen

Titel: Feuer fuer den Grossen Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Bosetzky , -ky
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zusammengezogen, zur stillen Freude der somit von ihnen entlasteten anderen Anstalten, nur nach außen hin wie zufällig rekrutiert. Vor allem die Aufsichtsbeamten, die, so der Brauch auch hier, mit Meister anzureden waren, und der TAL, der Teilanstaltsleiter.
    Jetzt war es elf Uhr, und Ismail wurde aus der Werkstatt in die Zelle zurückgebracht, wie alle anderen auch, die Arbeit hatten: seit sieben waren sie damit beschäftigt gewesen, Hosenknöpfe anzunähen, und zwar zur niedrigsten Vergütungsstufe, 3,74 DM je Arbeitstag.
    Freude für Ismail: auf seinem Bett lag ein Brief für ihn, das heißt, die Fotokopie eines Briefes, handgeschrieben. Von Muhat, seinem Cousin, der sechs Jahre älter war als er und den er zeitlebens bewundert hatte: als zackigen Soldaten, als Fußballer, als rigorosen Kämpfer für die Ehre und die Größe seines Heimatlandes. Zwar hatte ihm Muhat nichts weiter mitzuteilen als familiären Tratsch, daß Tuğrul nun wohl endgültig eine Deutsche hätte und so weiter, aber dennoch war erstaunlich, daß die Zensur Muhats Brief nicht aufgehalten hatte, wußten doch alle im Kiez, wie sehr er dauernd davon redete, halb Deutschland in die Luft zu sprengen – an den Bomben dafür bastle er schon… Nicht mal die militantesten Mitglieder der Grauen Wölfe wollten mit ihm an einem Tisch gesehen werden, im Versammlungssaal oder in der Moschee neben ihm knien, aus Angst, sich den Zorn der deutschen Stellen zuzuziehen und ausgewiesen zu werden. Muhat war ziemlich isoliert, nur bei den Önals wurde er noch reingelassen… Ismail las seine Zeilen immer wieder.
    Mittagspause. Bis zum Essen war Zeit genug, Tuğrul anzurufen, der jeden Mittwoch zwischen zehn und zwölf im Gerichtsgebäude zu erreichen war. Ihr Recht war es, an jedem geraden bzw. ungeraden Kalendertag, wie es gerade eingeteilt worden war, nach vorheriger Anmeldung des Gesprächs für jeweils fünf Minuten zu telefonieren.
    Der einzig verfügbare Apparat ihrer Teilanstalt stand vor der gläsernen Aufsichtskanzel am Ende des Flurs, dem ‹Cockpit›. Die Schlange der Wartenden war lang. Seit ihre Gespräche mitgehört wurden – unten in der Zentrale saß ein vereidigter Landsmann von ihnen –, kam es immer wieder zu Staubildungen. Dann telefonieren sie eben nicht! So Töpfers letzte Worte bei der Begründung dieser Maßnahme. Sie sei nötig, um den Rauschgifthandel vom Knast aus zu unterbinden («Wir lassen uns unsere Jugend nicht länger von ausländischen Dealern kaputtmachen!») und neue Ausbruchversuche zu verhindern.
    Ismail stellte sich an. Tuğrul hatte ihm letzte Woche erzählt, er habe gerade eine Deutsche kennengelernt, eine Juristin mit unheimlich guten Beziehungen, und vielleicht lasse sich da im Hinblick auf die drohende Ausweisung doch noch was machen.
    Ausweisung.
    Was sollte er in Izmir? Wen kannte er da schon? Keine Arbeit, kein Geld; der Bürgerkrieg… Bestenfalls steckten sie ihn in die Kaserne. Und da war er auch wieder ein Fremder. Einen Onkel hatte er noch, in Erzurum, aber der spuckte ihn nur an, weil er in Berlin im Knast gewesen war.
    Tuğrul hier im Gefängnis zu sprechen, das hatte er sich schon lange aus dem Kopf geschlagen. Sie hatten im Sprechzentrum nur einen einzigen Beamten zur Verfügung, der so viel Türkisch konnte, daß er einem Gespräch zu folgen vermochte. So war er froh, daß er wenigstens einmal pro Vierteljahr seine Mutter sehen und anfassen konnte.
    Seine Landsleute vor ihm klagten, daß sie schon seit Wochen keine türkischen Zeitungen mehr gesehen hätten, der TAL ließe keine herein, und die in Tegel und Plötzensee vorhandenen türkischen Bücher dürften auch nicht herübergebracht werden, es sei kein Platz da.
    «Was gibsen heute zu essen?»
    «Sahanda yumurta!»
    Spiegeleier wieder, zum drittenmal in dieser Woche. Ismail wurde schon übel, wenn er nur daran dachte.
    Wenn sie sich beschwerten, dann lachte der TAL jedesmal. «Ihr könntet jeden Tag Fleisch haben, wenn ihr nur wolltet: der ganze Keller ist voll von Schweinefleischkonserven aus alten EG-Beständen. Wir sind nun mal ein deutscher Knast.»
    Spiegelei und Corned beef – bei dieser dauernd gleichen Austauschkost waren sie alle ungemein scharf auf eine eigene Kochstelle, einen kleinen Elektrokocher bei sich auf der ‹Hütte›, aber ihre diesbezüglichen Gesuche wurden vom TAL regelmäßig abschlägig beschieden – aus Sicherheitsgründen angeblich. Dabei wußten sie alle, was dahintersteckte: die Absicht, sie aus Deutschland

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