Feuer (German Edition)
Bilde ihres einstigen Selbst, sie sah ihre zuckende Jungfräulichkeit in dem Gewand der Julia bei ihrem ersten Liebestraum. An der Grenze ihrer Erfahrung angelangt, hatte sie sich diesen Traum nicht bewahrt, unversehrt über die Menschen und die Zeit hinaus? Aber wozu? Denn ihre fernste erstorbene Jugend beschwor sie herauf, nur um darüber hinwegzuschreiten, um sie mit dem Fuße fortzustoßen, indem sie den Geliebten zu jener anderen führte, die lebendig war und ihn erwartete.
Mit dem Lächeln ihres unvergleichlichen Schmerzes sagte sie:
»Ich war Julia.«
Die Luft ringsumher war so still, daß der Rauch der Öfen zu faul war, um aufzusteigen. Überall schien es von Gold zu flimmern, wie in den Aventurinen. Die Wolke über dem Glockenturm degli Angeli färbte sich purpurn am Saum. Das Wasser war unsichtbar, aber es verlieh den Erscheinungsformen der Dinge etwas von seiner süßen Anmut.
»An einem Sonntag im Mai, in der ungeheuren Arena, in dem alten Amphitheater unter freiem Himmel, vor einer Volksmenge, die der Geschichte der Liebe und des Todes atemlos gelauscht hatte, war ich Julia selbst. Nicht der tosendste Beifall des ergriffenen Parketts, nicht der jubelndste Zuruf, kein Triumph kam jemals für mich dem Rausche und dem Vollgefühl jener großen Stunde gleich. Und als ich Romeo sagen hörte: ›Oh, sie nur lehrt den Kerzen hell zu glühn!‹ ... erglühte ich wirklich, verwandelte ich mich in Flammen. Ich hatte für mein erspartes Geld auf der Piazza delle Erbe unter der Fontana Madonna Verona einen großen Strauß Rosen gekauft. Die Rosen waren mein einziger Schmuck. Ich mischte sie unter meine Worte, meine Gesten, meine Stellungen: ich ließ eine zu Romeos Füßen niederfallen, als wir uns begegneten, ich entblätterte eine über seinem Haupte vom Balkon herunter,und alle deckten am Schlusse im Grabgewölbe seinen Leichnam. Der Duft, die Luft, das Licht versetzten mich in Entzückung. Die Worte strömten mit seltsamer Leichtigkeit von meinen Lippen, gleichsam unwillkürlich, wie im Fieberwahn; und ich hörte sie von dem unaufhörlichen Brausen meiner Adern begleitet. Ich sah den tiefen Raum des Amphitheaters zur Hälfte in der Sonne und zur Hälfte im Schatten, und in dem beleuchteten Teil ein Funkeln wie von tausend und abertausend Augen. Es war ein stiller Tag, wie heute. Kein Lüftchen bewegte die Falten meines Kleides oder meine Haare, die sich auf meinem nackten Halse im Schauder sträubten. Der Himmel war in ferner Höhe über uns, und dennoch schien es mir von Zeit zu Zeit, als tönten die am leisesten gesprochenen Worte bis in seine äußersten Fernen wie Donnerschläge wider, oder als nähme sein Azur eine so tiefblaue Farbe an, daß auch ich bläulich davon beschienen wurde, wie Meerwasser, in dem ich ertränke. Und meine Augen wanderten in jedem Augenblick empor zu den langen Gräsern, die oben an den Mauern hervorsprießten; und es schien mir, als gäben sie auf irgendeine Weise ihre Einwilligung zu dem, was ich sagte und tat, und wenn ich sie sich beim ersten Windhauch, der von den Hügeln sich erhob, hin- und herbewegen sah, so fühlte ich meine seelische Bewegung und die Kraft meines Atems wachsen. Wie sprach ich von der Nachtigall und der Lerche! Tausendmal hatte ich sie beide im Freien gehört: ich kannte ihre Wald-, ihre Wiesen-, ihre Wolkenmelodien; sie klangen mir in den Ohren lebendig und wild. Jedes Wort, schien mir, müßte, bevor es sich von meinen Lippen löste, mein heißes Blut durchlaufen. Es war keine Fiber in mir, die nicht einen Ton zu der Harmonie beitrug. Ach, die Gnade, der Stand der Gnade! Jedesmal, wenn es mir gegeben ist, den Höhepunkt meiner Kunst zu berühren, finde ich die unsagbare Hingebung. Ich war Julia. ›Es tagt, es tagt!‹ schrie das Entsetzen in mir. Der Wind strich mir durch die Haare. Ich fühlte das ungewöhnliche Schweigen, in das mein Wehklagen fiel. Es schien, als sei die Menge in die Erde gesunken: stumm war es auf den geschweiften Stufenreihen, die jetzt ganz im Schatten lagen. Nur dort unten blieb die Höhe der Mauer in rotglühendem Licht. Ich sprach von den Schrecken des Tages, aber in Wahrheit fühlte ich schon die ›Larve der Nacht‹ auf meinem Gesicht. Romeo war schon hinuntergestiegen. Wir waren schon tot, schon in das Dunkel eingetreten. Entsinnen Sie sich? ›Mir deucht, ich sähe dich, da du unten bist, als lägst du tot in eines Grabes Tiefe. Mein Auge trügt mich, oder du bist bleich ...‹ Ich war zu Eis erstarrt, während ich
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