Feuer (German Edition)
ihr eine erhabene Vorstellung von mütterlicher Liebe. Wieder öffneten sich in ihrem Innern die mild und fest blickenden Augen. Und sie betete: ›O sage mir, daß auch ich für ein Geschöpf aus meinem Fleisch und meinem Geist sein werde, was du für mich warst! Versprich es mir, du Wissende!‹ Die Einsamkeit der Vergangenheit erschien ihr als etwas Furchtbares. Sie sah in der Zukunft nichts als den Tod oder diese Rettung. Sie glaubte alle Prüfungen auf sich nehmen zu können, um ihrer würdig zu werden; sie betrachtete sie wie eine Gnade, die sie erlangen konnte. Eine fromme Inbrunst, sich zu opfern, ergriff sie. Es schien, als ob der fieberheiße Pulsschlag der heraufbeschworenen fernen Jugendzeit in diesem inneren Aufruhr sich erneute, und wie damals schritt sie vorwärts unter freiem Himmel, getrieben von einer fast mystischen Gewalt.
Sie schritt der Gestalt von Donatella Arvale entgegen, die sich auf dem flammenden Horizont am Ende einer Straße abzeichnete, die sich nach dem Wasser öffnete. Und ihre erste plötzliche Frage tönte in ihrem Innern wider: ›Denken Sie oft an Donatella Arvale, Stelio?‹
Die kurze Straße führte zu der Fondamenta degli Angeli, an den mit Fischerbarken bedeckten Kanal, von wo man die große, stille und strahlende Lagune sah.
Sie sagte:
»Welches Licht! Wie an jenem Abend, als ich noch Perdita hieß, Stelio.«
Sie schlug von neuem eine Note an, die sie schon in einem dann abgebrochenen Präludium berührt hatte.
»Am Abend des letzten September« – fügte sie hinzu. – »Entsinnen Sie sich?«
Ihr Herz schlug so hoch, daß es schien, als setzte es von Zeit zu Zeit ganz aus, und als hätte sie die Leidenschaft ihres Gefühls nicht in ihrer Gewalt, sondern sie könnte von einem Augenblick zum andern mit ihr durchgehen und sie zum Spielball der niedrigen Liebesrasereien machen, deren plötzlichem Erscheinen sie schon mehr als einmal nachgegeben hatte. Sie wollte, daß ihre Stimme nicht zitterte bei dem Namen, der mit zwingender Notwendigkeit in diesem Schweigen zwischen ihr und ihrem Freunde ausgesprochen werden mußte.
»Entsinnen Sie sich jenes Kriegsschiffes, das vor den Gärten vor Anker lag? Eine Salve grüßte das Banner, das auf dem Heck des Schiffes niedersank. Die Gondel glitt, den Panzer streifend, vorüber.«
Einen Augenblick zögerte sie. Ihre Blässe war von einem unvergleichlichen Leben beseelt.
»Damals nannten Sie in dem dunklen Schatten Donatella.«
Wieder machte sie eine Anstrengung, einem Schwimmenden vergleichbar, den eine neue Welle überflutet, und der den Kopf herausreckend den Meeresschaum abschüttelt.
»Sie begann Ihnen anzugehören.«
Es überlief sie kalt vom Kopf bis zu den Füßen, als habe sie ein giftiges Insekt gestochen. Sie hielt die weit geöffneten Augen auf die blendenden Wasser gerichtet.
»Sie muß die ihre werden« – sagte sie mit zwingender Härte in der Stimme, wie um ein zweites Mal die furchtbaren Versuchungen von sich zu stoßen, die aus dem Grunde ihrer Leidenschaft aufsteigen wollten.
Von quälender Angst gepeinigt, unfähig zu sprechen, mit einem leeren Wort diese jähen Blitzen gleichenden Offenbarungen der tragischen Seele zu unterbrechen, blieb Stelio Effrena stehen. Er legte seine Hand auf den Arm seiner Gefährtin, damit auch sie stillstünde.
»Ist es nicht so?« – fragte sie ihn mit fast heiterer Sanftmut, als wäre die Lähmung plötzlich von ihr gewichen, und ihre Leidenschaft hätte sich dem Joche gebeugt, das der Wille ihr auferlegte. – »Sprechen Sie. Ich fürchte mich nicht zu leiden. Lassen Sie uns hier niedersitzen. Ich bin ein wenig müde.«
Sie lehnten sich gegen eine niedrige Mauer mit dem Blick auf die Wasser. So rein war die Stille der Lagune bei der Sonnenwende, daß die Formen der Wolken und der Gestade in ihrem Spiegel eine Idealgestalt annahmen, als hätte die Kunst sie nachgebildet. Die Gegenstände in der Nähe und in der Ferne, der rote Palast der Da Mula auf dem Kanal und das bewaldete Fort von Tessara in der Ferne erschienen in dem Doppelbilde mit gleicher Klarheit. Die schwarzen Barken mit den aufgerollten Segeln, mit den längs der Rahen ausgespannten Netzen, sammelten in ihren Kielen das Gefühl der unendlichen Ruhe, das die Himmel ausströmten. Keine dieser Linien konnten menschliche Schmerzensausbrüche verrücken, und alle lehrten das Schweigen und versprachen den Menschen den Frieden in dieser Zeitlichkeit.
»Was soll ich Ihnen sagen?« – sagte der Jüngling mit
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